Lieber vernünftig erproben als überstürzt einführen, sagt Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD) und verschiebt den neuen Bildungsplan um ein Jahr. Der Streit über das Leitprinzip „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ habe damit nur am Rande zu tun.

Stuttgart - Der neue Bildungsplan für die Schulen in Baden-Württemberg wird zum Schuljahr 2016/17 eingeführt und kommt damit ein Jahr später als geplant. Diese Entscheidung sei nach den Rückmeldungen aus den 60 Erprobungsschulen gefallen, erklärte Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Der erbitterte Streit um das Thema Akzeptanz sexueller Vielfalt als Teil der Leitperspektiven habe bei der Verschiebung nur eine untergeordnete Rolle gespielt, sagte der Kultusminister.

 

Schwierigkeiten bereitet Stoch zufolge vor allem die Lesbarkeit des umfangreichen Grundlagenwerks, das für zehn Jahre Gültigkeit haben soll und beschreibt, welche Kompetenzen Schüler zu welchem Zeitpunkt erlangen sollen. Die Umorientierung von Lerninhalten auf Schülerkompetenzen ist zwar schon im Bildungsplan 2004 erfolgt, doch ließ offenbar schon damals die Erklärung der Kompetenzorientierung zu wünschen übrig. Stoch zufolge gehen viele Lehrer deshalb noch heute nach dem Plan von 1994 vor. Das soll dieses Mal anders werden. Die Kompetenzen sollen deutlicher formuliert werden, das Kultusministerium will auch den Praxistest ausdehnen und vor allem die Fortbildung der Lehrer intensivieren.

Niveaustufen statt Schularten

Die entscheidende Neuerung im Bildungsplan 2016 ist, dass er sich nicht mehr an Schularten orientiert. Ausnahme ist das achtjährige Gymnasium, das einen eigenen Bildungsplan erhält. Die anderen weiterführenden Schulen bekommen einen gemeinsamen Bildungsplan. Neu eingeführt werden Niveaustufen, die im Bildungsplan an die Stelle der bisherigen Schularten Hauptschule und Realschule treten. Parallel zum eigenständigen Bildungsplan für das achtjährige Gymnasium wird in dem gemeinsamen Bildungsplan bis Klasse zehn auch ein gymnasiales Niveau definiert. Der gemeinsame Bildungsplan für die Sekundarstufe eins (von Klasse fünf bis zehn) ist als Arbeitsgrundlage für die Gemeinschaftsschule von besonderer Bedeutung, die Schüler aller Begabungsstufen unterrichtet. Die neue Schulart hat bisher keinen eigenen Bildungsplan sondern geht nach dem Plan für die Realschulen vor. Stoch betonte jedoch, der Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft sei für alle Schularten von wachsender Bedeutung.

Mehr Erprobungsschulen

Stoch will die Zahl der Erprobungsschulen erweitern und gerade Gemeinschaftsschulen die Möglichkeit geben, bereits vor der allgemeinen Einführung des Werks mit den Arbeitsfassungen zu arbeiten.

Das Erprobungskonzept soll systematisiert werden. Der Probelauf hat in diesem Schuljahr begonnen. Bisher arbeiten nur die Klassen fünf und sechs mit den Entwürfen. Im kommenden Schuljahr dehnt das Ministerium die Testphase auf die Klassenstufen sieben und acht aus. Rund 40 Gymnasien sollen die Fachpläne zusätzlich erproben. Außerdem will Stoch ein neues Fortbildungskonzept für die Lehrer anbieten. Dafür würden 50 bis 60 weitere Stellen benötigt. Insgesamt rechnet das Ministerium mit 300 Deputaten. Stoch stellt aber klar: „Ohne gute Fortbildung und Umsetzung an den Schulen nützt der beste Bildungsplan nichts“. Dafür nehme man „einen längeren Reformprozess in Kauf“.

Positive Resonanz auf die Verschiebung

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte schon während der Debatte um die Leitprinzipien eine Verschiebung des Plans gefordert. Jetzt lobt die GEW-Vorsitzende Doro Moritz das Fortbildungskonzept und die Berücksichtigung der Erfahrungen aus den Erprobungsschulen. Auch die Grünen sagen, Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit.

Die CDU begrüßt, dass Stoch „endlich die Reißleine gezogen hat“ und „erkannt hat, dass er mit der bisherigen Bildungsplanarbeit gegen die Wand gefahren ist“. Bedauerlich sei jedoch, dass der Kultusminister „immer noch“ an den Leitprinzipien festhalte, klagt der bildungspolitische Sprecher der CDU, Georg Wacker.