Pegida greift Stimmungen und Einzelfälle auf, um daraus Trends abzuleiten. Eine Überprüfung der Zahlen und Fakten ergibt allerdings ein sehr viel differenzierteres Bild. Doch das bedeutet nicht, dass dahinter nicht auch reale Probleme stecken.

Berlin - Es ist schwierig zu sagen, was genau Pegida fordert und wofür der lose Verbund von Menschen steht, der sich wöchentlich hinter dem Slogan „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung den Abendlandes“ versammelt. Pegida ist eine lose organisierte Vereinigung, die sich bisher nicht in einem demokratischen Prozess auf Forderungen verständigt hat. Es gibt zwar ein veröffentlichtes Positionspapier, aber was auf der Bühne der Demonstration gesagt wird, was auf Flugblättern und Transparenten steht und was Teilnehmer der Demonstration als Motiv für ihre Beteiligung angeben, reicht viel weiter. Der Gründer der Vereinigung, Lutz Bachmann, hat selbst in einem Gespräch mit der rechtsgerichteten Zeitung „Junge Freiheit“ gesagt, die Ziele seien bis jetzt sehr schwammig.

 

Islamisierung

Schon im Namen steckt die Behauptung, Europa islamisiere sich zunehmend. Im Positionspapier heißt es, die „jüdisch-christliche Abendlandkultur“ müsse geschützt werden. In einem Flugblatt wird gefordert, der Freitag dürfe nicht zum Sonntag werden, und Weihnachten müsse Weihnachten bleiben. In Interviews mit Teilnehmern der Demonstration wird deutlich, dass pauschale Überfremdungsängste bestehen: Man habe nicht das Gefühl, in Deutschland zu leben, man habe Sorge, die Enkelin müsse Burka tragen.

Fraglich ist, was genau Pegida mit Islamisierung meint. Wenn darunter zu verstehen sein soll, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen streng gläubige Muslime sein werden, so ist dies eine unrealistische Erwartung. Als irreales Schreckgespenst kann man die Vorstellung bewerten, radikale Islamisten könnten hier die Macht übernehmen. In Deutschland leben nach einer Erhebung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rund vier Millionen Muslime, das sind fünf Prozent der Bevölkerung. Die Zahl nimmt zu. Vor 20 Jahren waren es 2,7 Millionen Muslime. Die überwiegende Mehrheit der Muslime – 98 Prozent – lebt in den alten Bundesländern. In Sachsen sind 0,1 Prozent der Bevölkerung muslimischen Glaubens – also ein Muslim auf 40 000 Sachsen.

Die größte Gruppe muslimischer Zuwanderer bundesweit hat ihre Wurzeln in der Türkei, gefolgt von den Ländern auf dem Balkan. Von den hier lebenden Muslimen bezeichnet sich etwa jeder Dritte als sehr gläubig. 70 Prozent der Frauen tragen kein Kopftuch, die Zahl der Frauen, die ihr Gesicht verschleiern, liegt noch viel deutlicher darunter.

Eine wachsende Gefahr durch gewaltbereite Islamisten, also Menschen, die die Religion für politische Ziele missbrauchten, wird allerdings vom Verfassungsschutz gesehen. Die Behörde zählt derzeit 43 000 Personen mit islamistischem Potenzial, darunter etwa 7000 Salafisten. Deren Zahl steigt. Jeder dritte davon ist kein Zuwanderer, sondern deutscher Konvertit. Fast alle in Deutschland bisher identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen sind salafistisch geprägt. Die Behörden sind in diesem Punkt aktiv und haben Maßnahmen zur Terrorismusabwehr ergriffen. Mehrere Anschläge wurden vereitelt.

Überfremdung

Nach Angaben des Bundesamtes für Migration liegt die Zahl der Zuwanderer im ersten Halbjahr saldiert bei 283 250 Personen – in einem Staat mit 80 Millionen Einwohnern. 60 Prozent davon stammen aus der Europäischen Union. Ein Viertel der 40 Prozent Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten hat ein Bleiberecht nach dem Asylgesetz erhalten. Die übrigen kamen als Auszubildende, Studierende, mit Arbeitserlaubnis oder auf dem Wege der Familienzusammenführung. Jenseits der Fakten greift Pegida aber ein real existierendes Gefühl der Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung auf. In der sogenannten „Mitte-Studie“ der Uni Leipzig stimmten 42,7 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier empfinde ich mich wie ein Fremder im eigenen Land.“

Asylpolitik

In dem Pegida-Positionspapier geht es in vielen Punkten um das Asylrecht. Teilweise werden verbesserte Bedingungen für Flüchtlinge gefordert. Zu den Forderungen gehört auch der Wunsch nach schnelleren Verfahren, konsequenter Abschiebung, weniger und gesteuerter Zuwanderung und einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge auf europäische Länder. Im Grundgesetz soll eine „Pflicht zur Integration“ stehen.

Richtig ist, dass die Zahl der Asylbewerber in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich gestiegen ist, für 2014 wird erwartet, dass 200 000 Menschen Schutz suchen. Für viele Kommunen ist das derzeit eine große Herausforderung. Allerdings war der Zuwachs absehbar. In den 90er Jahren gab es sehr viel mehr Asylbewerber (1993: 436 000 Asylanträge). Die meisten Asylbewerber kommen aus dem Kriegsland Syrien, gefolgt von Serbien, Eritrea, Afghanistan und dem Irak. Nach einer Gesetzesänderung von November werden Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ eingestuft, was die Abschiebung erleichtert.

Deutschland ist mit etwa 0,4 Prozent der insgesamt 51,2 Millionen Menschen konfrontiert, die weltweit auf der Flucht sind. In der EU führt Deutschland zahlenmäßig die meisten Asylverfahren durch – allerdings wurden nur 24 Prozent der Asylsuchenden anerkannt oder erhalten ein Bleiberecht. Setzt man die Zahl der Asylbewerber ins Verhältnis zur Zahl der Einwohner, dann nehmen Länder wie Malta und Schweden deutlich mehr Menschen auf als Deutschland.

Soziale Gerechtigkeit

Der Pegida-Gründer Lutz Bachmann hat behauptet, Asylbewerber bekämen „Vollversorgung“, während manche Rentner so arm seien, dass sie sich nicht einmal mehr einen Stollen leisten könnten. Viele Demonstrationsteilnehmer sagen, die Zuwanderer und Asylbewerber kosteten den Staat Geld, das für andere Zwecke nicht zur Verfügung stehe.

Richtig ist, dass die Altersarmut in Deutschland wächst. Wer als Rentner auf Grundsicherung angewiesen ist, bekommt Leistungen in etwa der Höhe des Hartz-IV-Satzes von 391 Euro sowie Wohn- und Heizkosten. Ein Asylbewerber bekommt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vorrangig Sachleistungen in Form von Unterkunft, Nahrung und Kleidung, wobei die Unterkunft aus Gemeinschaftszimmern besteht. Dazu kommen 140 Euro für alleinstehende Erwachsene im Monat.

Abgesehen von Asylbewerbern, die einem Beschäftigungsverbot unterliegen, zahlen Ausländer, die in Deutschland leben, nach einer aktuellen Bertelsmann-Studie insgesamt deutlich mehr Steuern, als sie an Sozialleistungen beziehen: 2012 brachten sie den Sozialkassen einen Überschuss von 22 Milliarden Euro ein.