Thüringen schreibt womöglich schon bald Geschichte: Erstmals ist eine rot-rot-grüne Regierung mit einem Ministerpräsidenten der Linken möglich. Nach der Koalitionsempfehlung der SPD-Führung hat nun die Basis das Wort. Der CDU droht der Gang in die Opposition.

Erfurt - 25 Jahre nach dem Fall der Mauer könnte es erstmals in Deutschland einen Ministerpräsidenten der Linkspartei geben: Thüringens SPD-Führung strebt einen Regierungswechsel zu einem rot-rot-grünen Bündnis unter dem Linken Bodo Ramelow an. Fünf Wochen nach der Landtagswahl empfahl der Landesvorstand der Sozialdemokraten am Montagabend einstimmig das für Bund und Länder neue Koalitionsmodell. Dem muss aber noch die Parteibasis in einer Mitgliederbefragung zustimmen.

 

„Wir gehen ein Experiment ein. Es ist ein Projekt, das es auf Bundesländerebene so noch nicht gab“, sagte der designierte SPD-Vorsitzende Andreas Bausewein in Erfurt. Ramelow, der aus Niedersachsen stammt, sei für ihn kein typischer Linker.

Ramelow will als Regierungschef die Praxistauglichkeit von Rot-Rot-Grün zeigen. „Wir wollen beweisen, dass wir bei Problemlösungen alltagstauglich sind“, sagte Ramelow am Montagabend der Nachrichtenagentur dpa in Erfurt. Der 58-Jährige bezeichnete das SPD-Votum als großen Vertrauensbeweis. Er sieht darin „25 Jahre nach dem Mauerfall ein spannendes Signal“. Es könnte seiner Meinung nach „ein Stück weit beim Abbau des Kalten Krieges in den Köpfen der Menschen im Westen helfen.“

CDU-Ministerpräsident Lieberknecht appelliert an SPD-Mitglieder

Der SPD-Vorstand entschied sich mit seiner Empfehlung gegen die Fortsetzung der seit 2009 bestehenden CDU/SPD-Koalition mit der CDU von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die die Landtagswahl gewonnen hatte. Lieberknecht appellierte an die SPD-Mitglieder, Rot-Rot-Grün noch zu verhindern: „Sie haben es nun in der Hand, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen und zu verhindern, dass Thüringen sich durch eine von der Linken geführte Regierung ins Abseits manövriert.“

Bausewein erklärte, ausschlaggebend für die Koalitionsempfehlung seien die größere inhaltliche Übereinstimmung mit Linken und Grünen sowie die Erwartung nach fünf Jahren Schwarz-Rot auf mehr Stabilität dieser Koalition gewesen. Allerdings haben beide Koalitionsvarianten jeweils nur eine Stimme Mehrheit im Landtag.

Die Entscheidung, mit wem im November förmliche Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, fällt endgültig erst in der SPD-Mitgliederbefragung. Sie soll nach Angaben von Landesgeschäftsführer René Lindenberg an diesem Dienstag starten und voraussichtlich am 4. November ausgezählt werden.

SPD ist das Zünglein an der Waage

In der SPD gab es in den vergangenen Wochen kontroverse Debatten, ob die Partei 25 Jahre nach dem Fall der Mauer als Juniorpartner für eine Regierung mit der Linken an der Spitze zur Verfügung stellen sollte. Die Linke war ihren möglichen Partnern weit entgegengekommen. Ihr Vorstand akzeptierte eine Erklärung, in der die DDR als Unrechtsstaat klassifiziert wird - gegen den Widerstand von Teilen der Mitgliedschaft. Auf der Erklärung hatten Grüne und SPD, die beide Wurzeln in der DDR-Bürgerrechtsbewegung haben, bestanden.

Die Sozialdemokraten hatten zwar bei der Landtagswahl am 14. September stark verloren und wurden nur knapp drittstärkste Partei. Ohne sie ist aber keine Regierungsbildung in Thüringen möglich.

Die Union im Bund reagierte verständnislos auf die Thüringer SPD-Entscheidung. CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf den Sozialdemokraten vor, „aus reiner Parteitaktik gegen die Interessen des Landes entschieden“ zu haben. Es gebe keinerlei inhaltliche Punkte, die gegen eine Fortführung von Schwarz-Rot in Thüringen sprächen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte den SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel auf, „dem rot-rot-grünen Spuk“ ein Ende zu bereiten: „Ich hätte erwartet, dass aufrechte Demokraten einer Koalition mit den SED-Unrechts-Verherrlichern eine klare Absage erteilen.“