Es fehlte nicht viel, und Georg Elser hätte am 8. November 1939 Adolf Hitler ermordet. Vielleicht wären der Welt ein großer Krieg und der Holocaust so erspart geblieben. Oliver Hirschbiegels Spielfilm „Elser“ zeichnet das Leben eines Mannes, der fast vergessen war.

Stuttgart - Diese Bombe ist feinste Handwerksarbeit. Und die Kamera tut gut daran, sich die Höllenmaschine zu Beginn von Oliver Hirschbiegels Spielfilm „Elser“ genau anzuschauen. Der Sprengsatz, mit dem der Schreiner und Hobby-Uhrmacher Georg Elser am 8. November 1939 Adolf Hitler und so viele braune Paladine wie möglich im Münchner Bürgerbräukeller in die Luft jagen wollte, war sachkundiger und präziser gebaut als die Bomben, mit denen der adlige Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg und dessen Mitverschwörer am 20. Juli 1944 gegen Hitler vorgingen. Man kann deuten, in der größeren handwerklichen Genauigkeit drücke sich größere Entschiedenheit aus: der Proletarier war mit den Nazis ja längst durch gewesen, als die deutschen Eliten zum Schaden der ganzen Welt noch taktiert, laviert und gezögert hatten.

 

Die Kamerafrau Judith Kaufmann („Scherbentanz“, „Wer, wenn nicht wir“) zeigt also ein Räderwerk und macht uns den Uhrwerkscharakter der Waffe klar. Und mit ihm die bittere Ironie der deutschen Geschichte: Elser hatte sorgfältig geplant, mutig und schlau die Bombe am Ort der größten Wirkung versteckt. Aber die genau eingestellte Uhr traf auf einen verschobenen Zeitplan der Nazis. Hitler musste den Bürgerbräukeller früher als geplant verlassen. Die Bombe explodierte, als der Tyrann bereits in Sicherheit war: die Hand der Vorsehung, hieß es dann in der Propaganda, habe den Führer geschützt.

Elser hat man vergessen wollen

Der von Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer geschriebene „Elser“ zeigt nach der scheiternden Flucht des von Christian Friedel kraftvoll gespielten Titelhelden dessen Haftzeit, die Befragungen durch Kriminalpolizei und Gestapo, vor allem die Folter, die zum Einsatz kam. Elsers Leben wird in Rückblenden gezeigt, so scheint alles, auch das Leichte und Private, folgerichtig und zwanghaft zuzulaufen auf jene Stunden, in denen man ihn auf das bloße Drahtgitter eines Bettgestells schnallt, um das Gewünschte aus ihm herauszumartern. Beziehungsweise, um ihn die Wut derer spüren zu lassen, die sich dem System mit Lust verschrieben hatten, die Wut darüber, dass einer wagte, die Möglichkeit einer Alternative aufzuzeigen.

Vielleicht gibt es heute darüber keine Wut mehr, aber noch immer existiert eine Mischung aus Missmut und Beschämung. Elser und seinesgleichen hat man vergessen wollen. 1989 etwa gab es einen Spielfilm über Georg Elser, von und mit Klaus Maria Brandauer, „Georg Elser – Einer aus Deutschland“, den man gemieden oder jedenfalls schnell vergessen hat. Hirschbiegel und das Vater-Tochter-Duo Breinersdorfer müssen von vorne anfangen.

Von der Unmenschlichkeit muss erzählt werden

Dass die Folter eindringlich und ausführlich gezeigt wird – es zieht einem schon die Eingeweide zusammen, wenn eine Schüssel unter den Festgebundenen gekickt wird, die das Blut auffangen soll wie ein Waschzuber bei der Schweineschlachtung –, kann man tadeln. Elser wird als Opfer gezeigt, und man kann finden, die Kamera mache sich und uns zu Komplizen der Folterer, zeige einen Mann in Ohnmacht und Schutzlosigkeit, so, wie er nicht gesehen und nicht erinnert werden möchte.

Das kann jemanden davon abhalten, diesen Film sehen zu wollen, was akzeptiert werden muss. Aber es gibt auch das andere Argument: wer die Folter nicht zeigt oder nur andeutet, macht sich und uns zum Komplizen der Nazis, weil ihre Schandtaten vertuscht und verringert werden, weil die abstrakten Fakten – es wurde gefoltert – nicht an die konkreten Figuren auf der Leinwand geheftet werden, an den Gestapo-Chef Heinrich Müller (Johann von Bülow), der foltert, und an den Reichskriminaldirektor Arthur Nebe (Burghard Klaußner), der ein wenig zweifelt, aber nicht entschieden einschreitet. Es gibt keine richtige filmische Darstellung der Unmenschlichkeit, man kann nur einen von zwei Fehlern begehen. Und doch muss von der Unmenschlichkeit erzählt werden.

Dynamischer Denkanstoß

Man kann einwenden, dieser Film lege Elsers Gesinnungen und Überzeugungen nicht klar genug dar, man kann auch aus den Quellen ein ganz anderes Bild etwa von Nebe gewinnen. Trotzdem ist „Elser“ ein sehenswerter Film geworden, wenn er bei der Razzia und Sippenhaftaktion der Polizei in Königsbronn jenen machtvollen Durchgriff der Tyrannei zeigt, der sich in lange nachwirkender Inszenierung von Elser äußerte. „Attentatshausen“, nannten Nachbarn Königsbronn noch lange.

Oliver Hirschbiegel hatte seinen größten Erfolg 2004 mit „Der Untergang“, dem plakativen, politisch oft fatale Symbolbilder malenden Porträt der letzten Stunden im Führerbunker. „Elser“ ist der sensiblere, offenere, nicht alles allwissend ausmalende Film. Der will weniger festschreibendes Denkmal sein denn dynamischer Denkanstoß. Wir wünschen ihm Glück dafür.