Mössingen liegt im Kreis Tübingen und hat bei der Landtagswahl vor fünf Jahren fast genau das Landesergebnis erzielt. So nahe dran war sonst keine der 1102 Gemeinden in Baden-Württemberg. Wenn das kein Grund ist, dort zu fragen, wie es diesmal ausgeht.

Mössingen - So sieht es also aus, wenn der Wahlkampf tobt: Die Straßenlaternen an den Einfallstraßen sind von der AfD okkupiert. Die Linke hat sich noch ein paar Plätzchen gesichert. Von den anderen sieht man kaum etwas. Was ist los in Mössingen? Keine Lust auf Wahlkampf? Fragen wir mal. Den jungen Mann da, der auf seinen Steppke aufpasst ...

 
Entschuldigen Sie, darf ich Sie etwas fragen?
Hm.
Können Sie mir vielleicht sagen, wie die Landtagswahl am 13. März ausgeht?
Hm?
Vor fünf Jahren hat Mössingen fast genau so gewählt wie das Land; deshalb dachte ich, hier zu erfahren, wie es diesmal kommt.
Ich glaube, da bin ich der falsche Ansprechpartner.
Werden Sie denn nicht wählen gehen?
Weiß ich noch nicht.
Auch was Sie dann wählen würden?
Keine Ahnung.
Meinen Sie, Winfried Kretschmann kann sich im Amt halten?
Da bin ich der falsche Ansprechpartner.

Okay, liebe Wahlkampfstrategen bei den Parteien, es gibt offensichtlich noch einiges zu tun. Es ist die Fasnetswoche. So lange ist es also nicht mehr bis zum 13. März.

Dirk Abel müsste mehr wissen. Auch er war zunächst überrascht von der Ansage, dass unter den 1102 Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg am 27. März 2011 Mössingen das Endergebnis fast genau getroffen hat. Abel hat sich vergewissert. Er hat dabei festgestellt, dass Mössingen auch die Bundestagswahl 2013 „gar nicht so schlecht“ abgebildet habe. Der stellvertretende Referatsleiter im Finanz-und Wirtschaftsministerium wünscht sich, dass seine Partei in seiner Stadt dieses Ergebnis wiederholen könnte.

Spätestens jetzt ist klar, dass Dirk Abel Christdemokrat ist. Die CDU holte bei der Bundestagswahl 46,5 Prozent. In Mössingen. Das ist eine stolze Zielmarke, denn die Umfragewerte für die Union sind nicht berauschend. Abel weiß das und relativiert: Wenigstens über dem Landesdurchschnitt will er liegen.

Wie kommt’s, dass die Mössinger in der Wahlkabine ein geschicktes Händchen haben? „Eigentlich ist Mössingen gar nicht so politisch“, sagt Abel. Jedenfalls nicht an den Parteien orientiert. Die Kommunalpolitik spielt die Hauptrolle, und die werde von den Freien Wählern dominiert.

Geschichtsträchtige Stadt

Diese Einschätzung teilt Arno Valin; er ist der Chef der Mössinger Sozialdemokraten. Die SPD hat bei der Gemeinderatswahl 2014 ganz ordentlich abgeschnitten, hinter den Freien Wählern ist sie die zweitstärkste Liste. Ihre Gemeinderäte seien die eigentlichen Galionsfiguren der SPD in der Stadt. Sie sind bekannt und werden angesprochen. Da kann sich der Ortsverein noch so bemühen, mit politischen Stammtischen bei den Leuten im Gespräch zu bleiben.

Auch für Ralf Stahl ist wichtig, dass seine Partei Spuren im unmittelbaren Nahbereich hinterlässt. „Die Stadtverwaltung kümmert sich um ökologisches Bauen,“ sagt der Kassier im Grünen-Ortsverband durchaus zufrieden.

Nun ist aber nicht Gemeinderats- sondern Landtagswahl. Und mit ihrer Historie kann das die Stadt ja wohl nicht kalt lassen.

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers versammelten sich am Abend des 30. Januar 1933 etwa 200 Aktivisten aus Mössinger Arbeitervereinen in der Langgaß-Turnhalle. Sie beratschlagten über einen von der KPD deutschlandweit propagierten Generalstreik, der Hitler stoppen sollte. Tags darauf machten sie sich auf, die Arbeiter aus den Betrieben zu holen. Die Beschäftigten der Buntweberei Pausa folgten. Der Trikotwarenhersteller Merz, der größte Arbeitgeber am Ort, fand die Umtriebe indes unbotmäßig und rief die Polizei. Die auf 800 Menschen angewachsene Menge – bei damals rund 4000 Einwohnern! – traf auf die aus Reutlingen herbeieilende Polizei. Da wurde klar, dass sich außer den Mössingern niemand am Generalstreik beteiligt hatte.

300 Leute bei Kretschmann

Wenn man die Stadt heute sieht – hoher Freizeitwert, beste Wohnlagen am Albrand, die Nähe zu Arbeitsplätzen, seien es industrielle in Reutlingen oder akademische in Tübingen – kann man sich die rote Vergangenheit kaum vorstellen.

Die Pausa gibt es nicht mehr, das Gelände gehört jetzt der Stadt. Sie hat dort den Löwenstein-Platz eingerichtet – eine Reverenz an die damaligen Firmeneigner Artur und Felix Löwenstein; sie waren Juden und verloren schon 1936 ihren Besitz, sie wurden gezwungen, die Firma zu verscherbeln und auszuwandern. Heute versammelt man sich in der Tonnenhalle der Pausa gelegentlich zu Veranstaltungen. Etwa wenn der Ministerpräsident Winfried Kretschmann wahlkämpfend in die Stadt kommt.

Die Grünen sind stolz, 300 Leute zu dieser Veranstaltung mobilisiert zu bekommen. Anderswo wäre die Spitzenfigur im Wahlkampf vielleicht für 600 oder 1000 Besucher gut. Hier nicht. Obwohl sie aus dem ganzen Wahlkreis kommen. Täuscht der Eindruck, dass viele auch schon graue Schläfen haben? Kretschmann enttäuscht sie nicht, sie dürfen sich bestätigt fühlen.

Wie zufrieden ist das Volk mit der Regierung, die es 2011 gewählt hat?

Eigentlich ist Sven Kremer Chef der Nabu-Ortsgruppe in Mössingen und war als Auskunftgeber in Sachen Umwelt- und Naturschutz ausersehen. Aber Kremer ist auch Pädagoge, Leiter einer Sonderschule in Hechingen, und es pfupfert ihn doch sehr, auch die Bildungspolitik zu würdigen. Das fällt ziemlich durchwachsen aus.

Grüne und Rote hoffen auf Bestätigung

„Ich bin nicht gegen die Gemeinschaftsschule“, sagt er. „Sie kann gelingen, wenn sie Zeit bekommt und genug gutes Personal da ist.“ Aber man hätte sie länger probieren lassen sollen. „Das Projekt ist zu schnell umgesetzt worden“, meint Kremer. „Das kreide ich der Landesregierung an.“ Und: „Die Realschulen sind zu wenig mitgenommen worden.“ In Mössingen gibt es keine Realschule mehr, sie ist in einer Gemeinschaftsschule aufgegangen. Doch scheint man diese Stimmung in Stuttgart registriert zu haben, zuletzt „hat sich etwas zum Besseren verändert“, so Kremer. Spätestens als Grün-Rot von dem Plan abgelassen hat, massiv Lehrerstellen zu streichen.

Als Naturschützer stellt er fest, dass „die Regierung Fortschritte gemacht“ habe. Aber „die Vorgängerregierung war auch nicht untätig“. Auch als Naturschützer meint er, die Sache mit der Windenergie „geht in eine gute Richtung“. „Irgendwo muss man Windräder hinstellen, das stört immer.“ Aber die Planer hätten bei der Standortsuche zum Glück das nötige Problembewusstsein. „Es wäre schade, wenn das nach der Wahl anders würde.“

Schöne Erinnerungen an 2011

Grüne Ideen haben in Mössingen Tradition. Hier entstand „einer der ersten Ortsverbände, wir waren eine Keimzelle der Grünen“, sagt Ralf Stahl. Er erzählt – und wieder klingt es fast genauso wie bei den anderen Parteienvertretern: Vor einer Wahl melden sich Sympathisanten schon, „aber in der Partei macht man nicht mit“. Bei den Grünen malochen „viele, die schon Jahrzehnte dabei sind“. Die Grünen in Mössingen überlegen sich schon, ob sie selber plakatieren sollen – weil es allmählich gefährlich für sie wird, so hoch auf Leitern zu steigen. Auch Veranstaltungen plant man defensiv. „Wir haben immer wieder versucht, etwas aufzuziehen – und dann hocken sechs, sieben Leute da ...“, so der selbstständige EDV-Dienstleiter. Vor fünf Jahren war das nicht anders. Dem Ergebnis hat es nicht geschadet.

Wie war das damals? Arno Valin erinnert sich noch genau. „Es war ein tolles Gefühl, als Kretschmann gewählt wurde“, sagt der Sozi. Er glaubt, dass es auch am 13. März wieder für Grün-Rot reichen könnte. Valin sieht CDU und Grüne gleichauf bei 30 Prozent, seine SPD bei 20. Das würde ja reichen – trotz der AfD im Parlament. Die Umfragewerte schocken den Genossen gewaltig. „Die Sozialdemokratisierung der CDU durch Merkel spürt man natürlich schon“, sagt der Leiter des Amts für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt der Stadt Reutlingen.

Eine Ampel? Oder Schwarz-Grün?

„Die Hoffnung ist da“, kommentiert der Grüne Stahl den Fortbestand der Koalition in Stuttgart. Aber er zeigt auch seine Realo-Seite: „Es war nie eine Liebesheirat und wird es auch keine werden“ – die Koalition zwischen seiner Partei und der SPD. Die Grünen hätten einiges schlucken müssen. Diejenigen, die bei der SPD „jetzt dran sind“, sind ihm zu machtorientiert, gehen ihm „zu sehr nach dem Wind“. Aber Schwarz-Grün sei erst recht keine Option. Es gebe kaum Überschneidungen mit der Union. „Wenn die richtigen Leute drankommen, will ich es nicht ausschließen.“ Aber das würde zu heftigsten Diskussionen in der Grünen-Basis führen.

Wie wäre es mit einer Ampel, wenn es für Grün-Rot nicht mehr reichen sollte? Das kann sich nun Lars Fuhrmann nicht vorstellen. Er ist die FDP in Mössingen, ein aufrechter Liberaler. „Man soll nicht immer auf andere setzen“, ist seine Devise. „Baden-Württemberg ist ein freidenkerisches Land,“ sagt der Getränkehändler. „Hier ist man nicht so staatsgläubig.“ Deshalb „kann ich mir fast nicht vorstellen, dass das mit den Grünen geht“. Denn die, so Fuhrmann, hätten doch eher oberlehrerhafte Allüren, wollten gerne diktieren. Womöglich hätten CDU und Grüne da mehr Überschneidungen, sagt der Liberale.

Wirklich? CDU-Mann Abel betont die christlichen Wurzeln, die „bedeutende Rolle der Kirchen in der Stadt“. Das erwähnt sonst keiner. Die CDU sei „einen Schritt weiter“ als nach dem Debakel von 2011. Es gebe bei der Landespartei jetzt „mehr Bereitschaft, die Mitglieder einzubinden“. Im Wahlkampf müsse man das „Wir-schaffen-das“ der Kanzlerin „besser erklären“. Die Leute sollten spüren, dass man „die Gesellschaft nicht überfordern“ wolle mit der Flüchtlingspolitik. Abel setzt auf eine „Regierungsbildung nicht ohne die CDU“. „Den Rest lässt man auf sich zukommen.“

Und was sagt der ältere Herr da vor der Bäckerei?

Was glauben Sie, wie geht die Wahl aus; erleben wir wieder einen Regierungswechsel?
Ich finde den Kretschmann schon gut. Das ist einer von uns. Aber was die Partei angeht, tendiere ich eher zur CDU.
Kennen Sie den Herrn Wolf von der CDU?
Den kenne ich nur aus der Berichterstattung. Er bringt nicht so die Führungsqualitäten rüber. Aber der Strobl wär’s auch nicht. Dabei brauchen wir angesichts der Probleme, vor denen wir stehen, keine schwachen Figuren vorne dran.
Was sagen Sie zur AfD?
Wir brauchen auch keine Extreme, weder links noch rechts; das müssten wir aus unserer Geschichte gelernt haben.
Und was erwarten Sie, was passiert?
Na, es wird wohl eine Koalition aus CDU und SPD werden, oder?

Das ist dann doch eine klare Ansage.