Entgegen ihrer sonstigen Strategie präsentiert sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Abhöraffäre als unwissend. Das mag politisch geschickt sein, beschädigt jedoch ihr Image, meint der StZ-Redakteur Thomas Maron

Berlin - Angela Merkel kann einen schwindelig regieren. Niemand sonst in Deutschland ist in der Lage, sich so schnell und so radikal an neue politische Lagen anzupassen, wie diese Kanzlerin. Sie hat diesen prinzipienfernen Pragmatismus schon vor der NSA-Affäre zur Perfektion getrieben. Deshalb lag es nahe, dass sie sich plötzlich für internationale Datenschutzabkommen und ein Kappen der Vorratsdatenspeicherung starkmacht, als wäre ihr nie etwas wichtiger gewesen. Und dennoch ist dieser Fall anders. Die Berichte über Lauschattacken der US-amerikanischen Partner machen ihr zu schaffen. Ihr Problem ist, dass sie sich entschieden hat, sich dümmer zu stellen, als es ihr Image erlaubt.

 

Merkels Wendigkeit, ihr Talent, den politischen Zeitgeist zu erspüren, und ihre Bereitschaft, diesem auch zu folgen, sind Beleg dafür, dass ihr wenig heilig ist, was nicht dem eigenen Machterhalt dient. Sie hat damit zwar die konservative Substanz ihrer Partei verschlissen, ohne dieser als Gegenleistung ein neues Leitbild anzubieten, aber zugleich hat sie sich damit bei den Wählern auch ein Image erarbeitet, das für sie wertvoller ist als jede noch so tiefsinnige Vision von der Zukunft Europas oder den Zielen ihrer Partei.

Die Kanzlerin hat viele politisch sediert

Sie gilt als „Kümmererin“, als ideologiefreie Pragmatikerin. Sie lässt damit in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft den Rückzug ins Private zu. Ihr Angebot an die Wähler lautet: Kümmert Ihr Euch mal in Ruhe um Kind und Kegel. Das mit der Politik regle ich schon, da müsst Ihr Euch nicht auch noch den Kopf zerbrechen. Sie hat damit weite Teile der Republik politisch sediert.

Es gab einmal eine geniale Kunstfigur, die hieß Herr Kaiser. Der Mann gab sich in Werbefilmchen so überzeugend kundig, dass ihm die Menschen gern den ganzen komplizierten Versicherungskram überließen, der sonst viel Zeit gekostet hätte. Merkel ist mittlerweile auch so eine Kunstfigur, in gewisser Weise die Frau Kaiser der deutschen Politik. Sie tut so, als könne sie den Menschen, die sich auf ihr Angebot einlassen, diesen ganzen komplizierten Demokratiekram abnehmen, als könne man sich bei ihr gegen politische Risiken versichern, ohne Bescheid wissen zu müssen. Zu jedem x-beliebigen Thema kann sie einem deshalb die Sinne vernebeln mit der Aufzählung kleinster Details. Mit dem Spitznamen „Mutti“ kann sie bestens leben. Eines darf „Mutti“ allerdings nicht sein: ahnungslos!

Der treue Vasall ist zum Opfergang bereit

In der NSA-Affäre muss Merkel aber so tun, als wisse sie von nichts. Die Amerikaner lachen sich ob dieser angeblichen Unkenntnis übrigens auch der deutschen Sozialdemokratie halb tot und äußern sich in  Interviews spöttisch-süffisant bis zur Schmerzgrenze. Dennoch muss sich Merkel, die sonst so Detailverliebte, dumm stellen, weil der Einschlag bei dieser Krise erstmals nicht in einem anderen Ministerium, sondern in ihrem unmittelbaren Umfeld erfolgte. Die Koordination der Geheimdienste ist Aufgabe des Kanzleramts. Merkels rechte Hand, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, ist dafür verantwortlich. Der treue Vasall darf sich deshalb schon einmal bereit machen zum Opfergang. Doch eine solche Operation wird nur gelingen, wenn Merkel ihrem Vertrauten Pofalla (und wenn es sein muss auch noch BND-Chef Gerhard Schindler) den gesamten Mist vor die Tür schütten kann. Das ist der Grund, weshalb sie unter allen Umständen nichts gewusst haben darf.

Angela Merkel wird ihre Strategie jetzt nicht mehr ändern, sonst hätte sie ja gelogen. Es ist auch sehr gut möglich, dass sie damit durchkommt, zumal die Gesellschaft erstaunlich gleichgültig die mutmaßliche Entsorgung eines Grundrechts hinnimmt. Aber Merkel zahlt dafür einen Preis, von dem noch keiner sagen kann, wie hoch er sein wird. Ihr Image, das sie zuletzt nahezu unangreifbar machte, nimmt Schaden. Eine gute „Mutti“ hätte nämlich viel besser auf ihre Kinder aufgepasst.