Die Griechen haben im Streit um Finanzhilfen der Europartner am Freitagabend eingelenkt. Doch die Probleme sind nur vertagt, meint der StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - In der Spieltheorie, die Griechenlands Finanzminister, der Ökonom Gianis Varoufakis so sehr beherrscht, gibt es die Figur des Geisterfahrerspiels. Darin rasen zwei Fahrzeuge aufeinander zu. Die Fahrer haben nur noch zwei Alternativen: Auszuweichen und (das Gesicht) zu verlieren oder in der Spur zu bleiben. Weicht der andere aus – gut. Bleiben beide Fahrer stur, kommt es zum Crash. Um im Bild zu bleiben: In den Verhandlungen um die Verlängerung des Euro-Hilfspakets, die selten so offen und brutal geführt wurden, sind die Griechen am Freitagabend rechts rangefahren. Sie haben eingesehen, dass ihnen ein Lastwagen entgegenkommt, sie selbst aber nur in einem Smart sitzen.

 

So selbstverständlich, wie sich dieses Ergebnis anhört, ist es allerdings nicht. Denn offensichtlich wähnte sich Griechenland lange in dem PS-stärkeren Fahrzeug: Zwar hätte ein Ende der EU-Hilfsleistungen auch den Staatsbankrott für die Hellenen bedeutet. Doch auch das Risiko für die Europartner war beträchtlich: ob die Eurozone wirklich einer Ansteckungsgefahr im Falle eines „Grexit“ widerstehen kann, ist nicht ausgemacht. Und darüber hinaus hätten Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Amtskollegen ihren Wählern erklären müssen, dass sie Kredite über 240 Milliarden Euro, die sie im Laufe der vergangenen Jahre an die klammen Griechen überwiesen hatten, nun hätten abschreiben können. Schwarze Null, ade.

Diese Pein ist den Kreditgebern mit dem Einlenken Griechenlands nun für das erste erspart geblieben. Die großspurig auftretende neue Regierung in Athen hat freilich nicht aus Einsicht beigedreht, sondern sich der schieren Übermacht gebeugt. Insofern ist nun auch Optimismus, dass die Zusammenarbeit mit den Griechen künftig gedeihlicher funktioniert, nicht angebracht.

Griechisches Regierung muss zentrales Wahlversprechen brechen

Erschwert wird die Kooperation auch durch die große Bühne, auf der die Niederlage der Griechen offenbar wird. Natürlich haben Tsipras & Co den Showdown von Brüssel selbst herbeigeführt, indem sie nicht nur bei ihren Wählern unrealistische Hoffnungen geweckt und ihre Partner verprellt haben, sondern auch Anfängerfehler begingen. Doch wenn die Wochen nach der Wahl eines zeigen, dann die überragende Macht von Symbolen in der Politik. Den nassforschen Politikern flogen die Herzen ihrer griechischen Landsleute zu, weil sie just jenen Kreditgebern die Stirn boten, die sie aus griechischer Sicht gedemütigt hatten. Nun zwingt sie die Eurogruppe – aus gutem Grund – ihr zentrales Wahlversprechen zu brechen und bis auf weiteres den verhassten Sparkurs fortzusetzen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Daher hat die Eurogruppe das Spiel auch nur vorläufig gewonnen. Dies wird sich womöglich schon in der nächsten Woche bei der Präsentation der griechischen Reformvorschläge, spätestens aber mit dem Auslaufen der nun in Aussicht stehenden Kredittranche in vier Monaten zeigen. Zunächst einmal wird sich das Hickhack in einem weiteren zähen Ringen fortsetzen – mit nach wie vor ungewissem Ausgang. Sollte es dann tatsächlich eine Einigung geben, werden Tsipras und sein Chef-Ökonom in den kommenden Monaten alles daransetzen, eine Alternative zu einem erneuten Einlenken zu finden. Daher müssen nicht nur die Griechen, sondern auch der Rest der Eurogruppe diese Monate nutzen, um gemeinsam einen Weg zu finden, der es den Hellenen ermöglicht, Teil der Eurozone zu bleiben. Ansätze dazu gibt es durchaus. Bleiben die Fronten dagegen so verhärtet wie in den vergangenen Wochen, sind ein Staatsbankrott Griechenlands und der Austritt aus der Eurozone nur vertagt.

In der nun zu Ende gegangenen Runde des Geisterfahrerspiels sind die Griechen dem Frontalzusammenstoß ausgewichen. Kommt es noch einmal zu einer solchen Situation, werden sie weiter geradeaus fahren – unabhängig von ihrer Fahrzeuggröße.