Die Künstler, die sich in der leer stehenden Fabrik von Kautt & Bux in Stuttgart-Vaihingen niedergelassen haben, müssen ihre Sachen packen. Ein Investor aus München hat das Gelände gekauft – und will im Sommer die Bagger anrollen lassen.

Vaihingen - Die kleine Frau mit den seltsamen Schuhen, ein Mix aus japanischen Holzsandalen und schwarzen Lederstiefeln, vibriert geradezu. Heidi Kuchers Körper durchstreift das Atelier, auf und ab, sinnbildlich für ihren Geist, der ebenso wenig stillsteht dieser Tage. Die Ausstellung in Ulm in vier Monaten, über drei Stockwerke verteilt, und so viel muss noch erledigt werden. Zum fasrig werden ist das. Manchmal redet sie ohne Punkt und Komma. „Man arbeitet intensiver“, sagt Kucher. Sie ist Künstlerin, kann davon leben, auch mit Rückschlägen, das gehört dazu. Aber als sie von der Kündigung erfahren hat, war das „wie ein schwarzes Brikett vor dem Kopf“. Ausgerechnet jetzt.

 

Der Klotz traf Ende 2013 nicht nur sie mit voller Wucht. In anderthalb Jahrzehnten war in der Fabrik an der Industriestraße 25 ein Künstler-Biotop gewachsen, eine bunte Parallelwelt auf Leinen und Holz. An die 20 Ateliers beheimatete das Gelände zu Spitzenzeiten, zog Kreativschaffende an und solche, die sich dazu zählen: Designer, Architekten, Fotografen, eine Tanzkompanie. Im Keller probte schon mal eine Rockband, während darüber Anwälte Fälle bearbeiteten. Zum Inventar gehörten eine Schreinerei, eine Autowerkstatt und ein Antiquitätenhändler.

Ein Investor aus München lässt die Bagger anrollen

Dann verkaufte der Buchgroßhändler Koch, Neff und Oetinger das Areal. Der neue Besitzer, ein Münchner Investor, will im Sommer 2014 die Bagger anrollen lassen. Büro- verdrängen Kulturräume, so will es das Diktat des Geldes.

Dass dieser Tag kommen würde, war Lothar Kotulla von Anfang an klar. Der Mann mit geflochtenem Schwänzchen sitzt an einem schweren Holztisch, umrahmt von Dachschrägen und seinen Kollegen Andreas Kull und Christian Kellner. Angefangen hat die Firma Reform Design vor 16 Jahren mit fünf Leuten, inzwischen sind sie zu zehnt. Sie gestalten Schalter für Mercedes und Plakate für die SSB. „Das Buntgemischte, das war das Schöne“, sagt Kotulla. „Das hatte schon ein gewisses Flair.“

Früher kamen mittags die Künstler vorbei, dann wurde zusammen gegessen, an eben jenem Tisch, man half sich gegenseitig, beim Entwerfen der Visitenkarten zum Beispiel. Aber „von Anfang an hieß es, dass das nicht dauerhaft ist“, sagt Kotulla. Die Verträge waren stets befristet. Aber „die Kreativen sind eben lieber in so etwas als in dem pseudo-architektonischen Glaskasten schräg gegenüber“. Und die Miete war ja auch fast schon unverschämt niedrig.

Die ehemalige Fabrik von Kautt & Bux stand seit 1994 leer

Anders hätten sich die Räume nicht an den Mann bringen lassen, Kautt & Bux hatte sie maßschneidern lassen. Das Stuttgarter Unternehmen, 1919 gegründet, zog Ende der 20er-Jahre nach Vaihingen. Anfangs stellten 100 Mitarbeiter Kommutatoren und Schleifringe für Elektromotoren her, später auch Schalter. Die Fabrikanten ließen in Saarlouis fertigen, in Ljubljana und Chicago. Schließlich beschäftigte das Unternehmen weltweit 2700 Menschen und setzte 300 Millionen Mark um. 1994 ging die Firma pleite. Übrig blieb ein Werk in Herrenberg, das einen Käufer fand.

Kurze Zeit später, 1997 war das, zog Rolf Kilian ein, in ein schmales Zimmer, das vom Flur im zweiten Stock abzweigt. Er und die Reform Designer waren so ziemlich die ersten Mieter, „und dann ist das so gewachsen“, sagt er. Draußen hängen einige Werke, lange Bretter mit klar geordneten Farbstrichen aus Eitempera, mit Pigmenten und Leinöl gemischte Eigelbe. Drinnen windet sich Kilian an Rahmen vorbei, die an Wänden lehnen. Den Boden bedeckt ein zerknülltes Leintuch, auf dem Sims zittern sich gestapelte Joghurtbecher empor, das Waschbecken ist mit Spritzern übersät. „Im Chaos kann ich alles finden“, sagt er.

Die Heizungen fauchen wie Katzen

Von einst zeugen die Anachronismen. Da sind die farbigen Lampen auf den Fluren, stets in Vierer-Kombination, die, je nachdem wie sie eingeschaltet wurden, den Abteilungsleitern Befehle gaben. Sie leuchten längst nicht mehr. Da sind die zentral gesteuerten Uhren, die eines Tages stehen blieben. Da sind die Heizungen, die fauchen wie Katzen. Sie werden mit Dampf betrieben. Und da sind die Stechuhren, die immer noch klacken, wenn Neugierige Papierschnipsel in die Schlitze stecken.

Ea Bertrams arbeitet nicht im Takt der Stechuhr. Sie arbeitet mit Schwarz. Die Schwerkraft zieht dunkle Tropfen über Leinwände, selbstgehäkelte dunkle Stoffe baumeln herab, an der Wand hängen mit Pferdehaaren verwobene dunkle Knäuel. „Ich mag das, das kann ich nicht verbergen“, sagt sie durch den schwarzen Schal, den sie um den Hals geschlungen hat.

Ein Traumatelier wie aus dem Film

Bertrams sitzt an einem kleinen Tisch, natürlich schwarz, und zeichnet mit dem Arm einen Bogen in die Luft. „Das Traumatelier“, sagt sie. „Das ist ein großes Geschenk.“ So kennt man das eigentlich nur aus Filmen. Hohe, weiß gestrichene Wände, Säulen, Sprossenfenster Typ Fabrikhalle, und als Dreingabe ein Gerüst mit Rollen. „Zuhause schlafe ich und frühstücke“, sagt sie, sonst lebt sie in ihrem Atelier.

„Seit zwölf Jahren bin ich hier“, sagt sie. „Und ich kann nur ein Loblied auf den Vermieter singen, der, das glaube ich, uns alle subventioniert hat.“ So etwas gibt es nur selten, in Stuttgart zumal. Bertrams hat die Suche nach einem neuen Atelier in ihrer Stadt schon fast aufgegeben. „Ich fahre nach Berlin, weil sich hier für mich nichts auftut“, sagt sie. Kommende Woche schaut sie sich an der Spree 20 Objekte an.

Viele Künstler wandern nach Berlin ab

So wie Bertram geht es vielen. In Stuttgart haben es Künstler schwer, Räume zu finden. Dabei geben sie sich auch mit Bruchbuden zufrieden, solange nach einem Regen nicht Sturzbäche durch das Treppenhaus plätschern. Alte Fabrikhallen sind prädestiniert, aber auch alte Wohnhäuser. Sie sind es gewohnt, alle paar Jahre umzuziehen, dass ihre Ateliers Neubauten weichen, zuletzt geschehen am Nordbahnhof. Das Problem ist, dass es kaum noch Bruchbuden gibt in einer Stadt, in der Bürotürme wie Pilze aus dem Boden schießen.

„Es wird geklagt, dass die Kultur abwandert“, sagt Kucher. Getan wird nichts. Auch sie hat sich schon einige Büros angeschaut, von denen sie dachte, dass sie für sie in Frage kämen. Aber „das sind Retortenbuden mit Teppichböden, eng geschnitten und teuer“. Wohin sie ihre Bilder nach der Ausstellung in Ulm transportieren soll, weiß sie nicht. Vielleicht, meint sie, findet sie ja eine Fabrik auf der Schwäbischen Alb.