Der „Elser“-Kinofilm von Oliver Hirschbiegel erinnert an den gescheiterten Hitler-Attentäter. Doch nicht alle sehen in dem einsamen Schreiner aus Königsbronn einen vorbildlichen Widerstandskämpfer. Der Streit darüber ist noch immer heftig.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Beinahe hätte Georg Elser am 9. November 1939 Adolf Hitler umgebracht. Wäre dessen Rede im Münchner Bürgerbräukeller nicht früher zu Ende gegangen als geplant, eine von Elser versteckte Bombe mit Zeitzünder hätte den Diktator und die ebenfalls anwesende Führungsriege des NS-Staates in die Luft gejagt. So zündete seine Bombe zu spät, es starben im halbleeren Saal die Falschen. Die Bilanz: acht Tote, 63 Verletzte, allesamt Besucher und Angestellte des Lokals.

 

Georg Elser war als Tyrannenmörder also gescheitert. Ist er trotzdem eine positive, zu bewundernde Figur, allein schon aufgrund seines Vorhabens, seines Mutes und seiner Energie, den Tyrannenmord zu planen und auszuführen? Der Film „Elser“, der gerade in unseren Kinos läuft, sagt dazu eindeutig Ja, drückt dies schon in seinem Untertitel aus: „Elser – Er hätte die Welt verändert“. Auch ganz unabhängig von diesem Film werden die allermeisten, die von dem Attentat in München wissen, spontan in diese Einschätzung einstimmen: Elsers Tat war mutig und heldenhaft. Was wäre dieser Welt an Leid erspart geblieben, wenn nicht ein Kette dummer Zufälle den Anschlag zum Scheitern gebracht hätte?

Aber man kann die Frage natürlich auch anders diskutieren, nämlich als moralphilosophisches Problem – und es ist keineswegs absurd, dies zu tun; seit den ersten Tyrannenmorden im alten Griechenland wird es diskutiert. Im Falle Elsers lauteten die Fragen dann etwa so: Erstens, durfte man Hitler im November 1939 töten wollen? Elser hat dies bekanntlich für sich ganz persönlich entschieden, ohne Rückversicherung durch andere Oppositionelle oder politische Organisationen. Zweitens, durfte man, um Hitler töten zu können, den Tod Unbeteiligter oder Unschuldiger billigend in Kauf nehmen? Denn auch im Falle des Erfolges hätte Elsers Bombe mit Sicherheit Unbeteiligte, zumal die Angestellten des Lokals geschädigt. Drittens, unter welchen Voraussetzung durfte man den Tod Dritter in Kauf nehmen? Viertens, hat Elser bei seinem Vorgehen diese Voraussetzungen erfüllt?

„Nicht jeder Widerstand ist moralisch akzeptabel“

Jemand, der in Deutschland eine derart moralphilosophische Debatte über Georg Elser führt, ist der Chemnitzer Sozialphilosoph Lothar Fritze. In seinem Buch „Legitimer Widerstand? Der Fall Elser“ formulierte er 2009 die eben vorgestellten vier Fragen. Die erste beantwortete er mit einem Ja – ja, ein politischer Mord an Adolf Hitler wäre im November 1939 auch moralisch gerechtfertigt gewesen. Doch bei den anderen beiden Punkten bezieht Fritze Position gegen Elser: Es sei nicht gerechtfertigt gewesen, bei der Jagd nach dem Tyrannen auch das Leben so vieler Unbeteiligter in Kauf zu nehmen, überhaupt eine so weit reichende Entscheidung völlig autonom und individuell, eben ganz aus freien Stücken zu treffen. Fritze: „Nicht jeder Widerstand gegen das Unrecht ist gut; nicht jede Art und Weise, dem Bösen zu widerstehen, ist moralisch akzeptabel.“ Der Umstand, dass der Kampf gegen Unrecht häufig unter Extrembedingungen geführt wird, „zieht keine Suspendierung moralischer Grundsätze nach sich“.

Fritze führt diese Debatte seit rund fünfzehn Jahren, weil er in der öffentlichen Beschäftigung mit Georg Elser das Ansinnen vermutet, diesen als „Vorbildfigur“ für die heutige Zeit aufzubauen. Nichts aber „wäre letztlich fataler als die Propagierung falscher Vorbilder“ – schließlich könne sich sonst jeder verwirrte Bombenleger im moralischen Wert seiner Handlungen auf Elser berufen, gerade so, wie ja auch unter Sympathisanten des RAF-Terrors in den siebziger Jahren die Erinnerung an den einsamen schwäbischen Widerstandskämpfer aus Königsbronn durchaus populär war.

Lothar Fritze hat für seine Beiträge zu diesem Thema sehr heftige Kritik geerntet, die teils die Grenze zum persönlichen Angriff überschreiten. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass er Muster aufgreift, die von nationalistischen und rechtskonservativen Kreisen seit Jahr und Tag gegen überhaupt jede Form des Widerstandes im NS-Staat ins Feld geführt werden. Dass er zum Teil Angriffe gegen die Elser-Tat führt, die auch schon in den ersten Verhören des Attentäters durch die Gestapo zu hören waren. Der Film zeichnet just diese Szene, belegt durch die Verhörprotokolle: Was ist denn das für eine klägliche Moral, wird Elser da gefragt, die einfach so das Leben vieler Unschuldiger ins Verderben stürzt? Der Historiker Peter Steinbach vermutet hinter der Fritze-Position das Ziel, letztlich jede Form von Erinnerungskultur an den Widerstand diskreditieren zu wollen.

Schon die alten Griechen hat der Tyrannenmord beschäftigt

Diese Gefahr mag bestehen, selbst wenn Fritze dies nicht aktiv beabsichtigt. Der entscheidende Punkt ist aber ohnehin, ob es generell viel nützt, eine Tat wie jene von Georg Elser moralphilosophisch zu betrachten. Schließlich haben schon die alten Griechen das Thema Tyrannenmord philosophisch von allen Seiten betrachtet, haben spätere Denker das Problem im Lichte neuer Systeme, neuer Umstände immer wieder hin- und hergewendet. Eine einfache, zeitunabhängige Antwort hat es trotzdem nie gegeben. Die abstrakte Debatte schärft den Blick für das Dilemma, ohne selbst eine Einordnung der Tat liefern zu können. Zeiten, Umstände, Taten sind stets von einmaliger Qualität. Darum können sie auch nie einfach Vorbild für uns sein. Aber sehr wohl ein Impuls, über eigene Zeiten und Umstände nachzudenken.

Wenn es im Falle Georg Elsers einen Punkt gibt, der wirklich für alle Zeiten eine bohrende Frage liefert, dann ist es zunächst ein ganz anderer: Warum hat dieser Mann so früh und so genau das Unrecht und die Gewalt um sich herum wahr- und ernst genommen? Warum hat er daraus den richtigen Schluss gezogen, dass noch viel größeres Unrecht, noch schlimmere Gewalt folgen werden? Und warum haben Millionen andere dies nicht getan?

Routiniert verlässt die Protokollantin den Raum

Just für diesen Punkt findet der „Elser“-Regisseur Oliver Hirschbiegel ein starkes Filmbild: Als Georg Elser beim Gestapoverhör die Aussage verweigert, verlässt die Protokollantin routiniert das Büro. Sie weiß, dass es nun erst mal ohne Protokoll weitergeht, weil jetzt nämlich gefoltert wird. Auf dem Flur setzt sie sich auf eine Bank. Sie hat für solche Fälle stets ein Buch dabei, um die Wartezeit zu überbrücken. Ganz langsam fährt die Kamera auf sie zu, wir sehen nichts als ihren konzentrierten Blick auf die Seiten. Derweil dringen von innen die Schmerzensschreie des gequälten Elsers, lauter und lauter. Sie hört es nicht, es hat nichts mit ihr zu tun. Ganz nah ist die Kamera schließlich am Gesicht der Frau. Und fragt: Wie schafft sie das?

Georg Elser hat dies nicht geschafft. Es geht heute nicht darum, in seinen Taten etwas Heldisches zu sehen – alle Taten werden stets zu erörtern sein –, sondern in seinem Mitgefühl das unbedingt Menschliche. Da steckt für uns der Haken.