Wegen der Wahlniederlage und dem Koalitionskurs hat die SPD ein Hühnchen mit ihrer Parteiführung gerupft. Die Südwest-SPD schrammt knapp an der Marginalisierung vorbei.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Leipzig - „So hättet ihr mit Andrea nicht umgehen sollen“, sagt Barbara Hendricks, die Schatzmeisterin der SPD. Auch sie sollte wenig später nur mit Stimmenverlusten in ihrem Amt bestätigt werden. Sie nutzt ihre Bewerbungsrede aber vor allem, um den Delegierten ins Gewissen zu reden. Hendricks Kritik richtet sich an die 600 Delegierten des Leipziger Parteitags, die gerade ihr Mütchen über die Niederlage bei der Bundestagswahl und die Aussichten auf eine große Koalition an der alten und neuen Generalsekretärin Andrea Nahles gekühlt haben. Nachdem Sigmar Gabriel am Tag zuvor in seinen Augen „ehrliche“ 83 Prozent Zustimmung kassiert hatte – vor zwei Jahren waren es 91 Prozent – , müssen am Freitag mit einer Ausnahme alle Mitglieder der Parteispitze Federn lassen.

 

Aber gemessen an den stellvertretenden Parteichefs Hannelore Kraft (Nordrhein-Westfalen), Aydan Özoguz (Hamburg) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern), die alle mit mehr als achtzig Prozent wiedergewählt werden, liegt das Ergebnis der Generalsekretärin mit 67,2 Prozent gleich in einer anderen Gewichtsklasse. Sie erntet das schlechteste Ergebnis der Führungsspitze. Nur Olaf Scholz, der mit absoluter Mehrheit regierende Erste Bürgermeister Hamburgs wird mit einer teils als arrogant empfundenen Bewerbungsrede mit 67,3 Prozent ähnlich scharf abgestraft.

Dem baden-württembergischen Landesvorsitzende und Finanzminister in der grün-roten Landesregierung Nils Schmid kommt das vor wie ein Déja vu. Beim Landesparteitag vor ein paar Wochen in Reutlingen ist ebenfalls die gesamte Führung der Südwest-SPD abgestraft worden. „Die Partei ist einfach missvergnügt“, sagt Schmid. „Das drückt sich in diesen Ergebnissen aus.“ Es ist sicher kein Zufall, dass Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen), der einzige Neuling in die Riege der stellvertretenden Parteivorsitzenden, mit 88,9 Prozent gleich Stimmenkönig geworden ist. Das drückt noch besser als die bescheidenen Ergebnisse der etablierten Mitglieder der Parteispitze aus, dass die Genossen ihrer Führung wegen der Wahlniederlage, Fehlern in der Wahlkampfführung und dem Koalitionskurs sehr wohl einen Denkzettel geben wollten und eigentlich auch Sehnsucht nach neuen Gesichtern haben.

Die Führungsmannschaft kam nicht ungeschoren davon

Die Führungsmannschaft um Sigmar Gabriel kam also nicht ungeschoren davon. Die Kontinuität an der Spitze wurde gleichwohl nicht gefährdet. Andrea Nahles kam die Rolle des Blitzableiters zu. Nun hat sich das Willy-Brandt-Haus, dessen Verwaltungschefin sie ist, im Wahlkampf gewiss nicht mit Ruhm bekleckert; gemessen an den Fehlern, die auf das Konto des Spitzenkandidaten, des Parteichefs und des Fraktionsvorsitzenden gingen, sind die Delegierten mit ihr aber überproportional scharf ins Gericht gegangen.

Doch insgesamt geht der Parteitag beim seinem Strafgericht rational zu Werke. Die Ergebnisse für Gabriel und seine Mannschaft sind alles andere als ein Misstrauensvotum. Und diszipliniert haben die Genossen den EU-Spitzenkandidaten Martin Schulz, der als nächstes eine Wahl gewinnen muss, mit 97 Prozent ein Traumergebnis beschert. Der Unmut entlädt sich vor allem in der zweiten Reihe.

Im ersten Wahlgang für die 26 Beisitzer im Bundesvorstand bringen zwar die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ihre Schäfchen ins Trockene; dafür werden aber mehr als ein halbes Dutzend Landeschefs in den zweiten Wahlgang gezwungen. Die drei Baden-Württemberger – Europa-Minister Peter Friedrich, die ehemalige Landeschefin Ute Vogt und die Parteilinke Hilde Mattheis – fallen alle durch. Womit sich Friedrich das schlechteste aller Ergebnisse in diesem Wahlgang verdient hat, darüber wird allenthalben gerätselt. Ärger löst bei der Delegation aus dem Südwesten aus, dass Sigmar Gabriel den Delegierten ins Gewissen redet und sie auffordert, die Landesvorsitzenden doch bitte in den Bundesvorstand zu wählen. „Eine ganze Reihe von Landesverbänden wäre nicht vertreten, wenn es dabei bliebe“, sagte Gabriel. „Wir brauchen aber die Landesvorsitzenden im Bundesvorstand.“ Namentlich liest Gabriel vor, wem die Delegierten auf jeden Fall im zweiten Wahlgang ihre Stimme geben sollten: Dietmar Woidke, Katrin Budde, Heiko Maas, Christoph Matschie, Florian Pronold, Ralf Stegner und Jan Stöß. Das Problem: Da mit bliebe die Südwest-SPD immer noch außen vor, da Landeschef Nils Schmid nicht in den Bundesvorstand strebt. Gabriels Wahlaufruf wurde bei den Baden-Württembergern denn auch als „Fehler“ gewertet. Den Unmut darüber lässt die Delegation Gabriel wissen. Der reagiert darauf zunächst pampig, zieht hinter den Kulissen dann aber Strippen für Ute Vogt und Peter Friedrich – mit Erfolg. Friedrich muss allerdings damit leben, dass er die rote Laterne unter den Vorstandsmitgliedern behält. Hilde Mattheis verpasst den Wiedereinzug in den Vorstand. Die Parteilinke hat dem Schleswig-Holsteiner Ralf Stegner den Vortritt gegeben. Und so geht die Südwest-SPD geschwächt aus dem Parteitag hervor.