Kein Google, kein Wikipedia, kein Facebook: Campuskind-Gastautorin Marie Hertfelder verzichtet eine Woche auf das Internet. An Tag vier merkt sie, wie sehr ihr die Möglichkeiten zur Prokrastination fehlen.

Kein Google, kein Wikipedia, kein Facebook: Campuskind-Gastautorin Marie Hertfelder verzichtet eine Woche auf das Internet. An Tag vier merkt sie, wie sehr ihr die Möglichkeiten zur Prokrastination fehlen.

 

Tübingen - Das Sommersemester hat gerade erst angefangen. Wie jedes Jahr fasse ich den Entschluss, diesmal aber wirklich auch von Anfang an dran zu bleiben. Spätestens nach zwei Wochen sehe ich das dann aber nicht mehr so eng. Normalerweise würde ich mich dann nach der Vorlesung erst mal ein bisschen mit dem Laptop auf das Sofa verziehen. Nach anderthalb Stunden aufmerksamen Zuhörens hat man das ja wohl verdient.

Stattdessen geht es nun pflichtbewusst an den Schreibtisch. Beim Nacharbeiten der Vorlesung merke ich, dass ich mich nur sehr schlecht konzentrieren kann. Ich werde nervös. Klar, spätestens nach einer halben Stunde würde ich auf mein Smartphone linsen oder mal „kurz“ Facebook checken. Gut möglich, dass es gerade diese Verhaltensweisen sind, die mir die Konzentrationsunfähigkeit antrainiert haben. Ich bin eine Süchtige auf Entzug. Es ist eine latente Abhängigkeit, die uns nicht wie eine vorkommt, aber eben dennoch eine ist. Wir sind süchtig nach Information, nach permanenter Erreichbarkeit, nach dem Gefühl immer und sofort alles zu wissen.

Das Internet ist schnelllebig, von jeder neuen Information ist man immer nur einen Mausklick entfernt. Wieso juckt mein Auge, wie spät ist es in New York, wie viele Kinder hat Angelina Jolie und woher weiß der Körper eigentlich, dass er atmen muss? Es gibt nichts, was das Internet nicht weiß. Es macht uns zu Pseudo-Experten, auf nahezu jedem Gebiet. Wir werden Mediziner, Therapeuten, Handwerker. Eine Quelle, die nie versiegt und auf alles eine Antwort hat. Ja, zugegeben, auch ich google alles und erweitere mein Wikipedia-Halbwissen von Tag zu Tag. Wie haben unsere Eltern eigentlich gelernt ohne die Definitionen aus dem Internet zu ziehen? Unvorstellbar. Heute hat Mama sogar WhatsApp und es bleibt nur zu hoffen, dass sie sich nicht auch noch einen Facebook-Account zulegt.

Die Ablenkung durch die Möglichkeiten im Netz fehlen

Statt konzentriert am Schreibtisch zu sitzen, fällt mir plötzlich alles Mögliche ein, was ich so machen könnte. Die Fenster gehören mal wieder geputzt, das Altglas weggebracht und wollte ich nicht anfangen regelmäßig Sport zu treiben? Wie mein Blick so Aufgaben suchend durch die Wohnung wandert, bleibt er am Kalender hängen. Mit rotem Stift und in Großbuchstaben steht da: „ESSAY ABGEBEN“. Und zwar morgen. Uups. Neben mein chronisches Aufschiebeverhalten gesellt sich nun noch ein weiteres Problem hinzu: Der Dozent wohnt in einer anderen Stadt und war nur für das Seminar angereist. Dank Internet und E-Mail sind solche Entfernungen für Abgabefristen eigentlich kein Problem mehr.

Eigentlich – wenn ich jetzt Internet hätte. Das wiederum gestaltet die Online-Abgabe schwieriger als erwartet. Von betreffendem Dozenten habe ich ebenfalls nur die E-Mail-Adresse. Da kann nur die Auskunft helfen, denke ich mir und greife beherzt zum Hörer. Am Telefon stellt sich heraus, dass es ausgerechnet zwei Herren mit ein und demselben Namen gibt. Ich lasse mir beide Nummern geben. Und komme prompt an falscher Stelle raus. Internet-Karma? Betreffender Herr weiß nichts von einem Seminar und reagiert verwirrt. Der zweite Anlauf erreicht sein Ziel. Nur um zu erfahren, dass wir doch noch eine Woche länger Zeit haben. „Stand doch in der E-Mail“.

Die Autorin Marie Hertfelder, 22, studiert Politikwissenschaft und Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. In den kommenden Tagen veröffentlichen wir weitere Teile ihres Erfahrungsbericht zum selbstauferlegten Internet-Verzicht. Teil eins lesen Sie hier, zum Bericht über den zweiten Tag geht es hier. Und wie es ihr an Tag drei ergangen ist, erfahren Sie hier.