Die Doping-Affäre um den Sportarzt Armin Klümper sorgt dafür, dass Fußballer des VfB Stuttgart und auch den Turner Gienger die Vergangenheit einholt.

Stuttgart - Armin Klümper kannte sie fast alle. Der Sportmediziner betreute in den 70er bis weit in die 90er Jahre zahlreiche der westdeutschen Topathleten in seiner Freiburger „Sporttraumatologischen Spezialambulanz“, einige sprechen von 70 Prozent – darunter auch der Weltklasseturner Eberhard Gienger. Der Reckweltmeister von 1974 und heutige CDU-Politiker war nach eigenen Angaben „seit Anfang der 70er bis ins Jahr 2000 nach einem Fallschirmabsturz – entweder aufgrund von Verletzungen oder Rehabilitationsphasen – Patient bei Professor Klümper“. Inzwischen stehen viele Patienten des Sportmediziners unter Verdacht. Seit die Untersuchungskommission zur Aufklärung der Dopingvergangenheit an der Universität Freiburg ihre Arbeit aufgenommen hat, kommen neue Details zu den umstrittenen Sportmedizinern um Klümper ans Tageslicht. Inzwischen erstreckt sich der Dopingsumpf auch auf den Fußball.

 

Denn Klümper gehörte stets zu den Ärzten, die am offensivsten für erlaubten Anabolika-Konsum eintraten und die anabole Steroide verordneten. Erst 1974 wurde Anabolika-Doping offiziell verboten. Klümper vertrat aber auch danach die Ansicht, der mündige Sportler müsse selbst entscheiden, ob er diese Mittel einnehme.

2006 gestand auch Eberhard Gienger Anabolika-Konsum in den 70er Jahren ein. „Im Rahmen einer Operation, beziehungsweise Rehabilitation, wurden mir Medikamente verschrieben. Diese Verordnung war nicht verboten, sondern medizinisch begründet und auf einen kurzen Zeitraum beschränkt“, erklärte Gienger am Mittwoch gegenüber der StZ. In seiner Argumentation folgt er damit ganz der Klümperschen Sprachregelung, der die Verschreibung von Anabolika immer aus „rein medizinischen Gründen“ begründet hatte.

Die Sportler helfen dem Art aus der Finanznot

Gienger war aber nicht nur in seiner aktiven Karriere ein Klümper-Befürworter, seine Loyalität ging weit darüber hinaus. Als Klümper in den 80er Jahren Steuerschulden beim Finanzamt nicht begleichen konnte, sammelte Gienger bei Sportlern – darunter Fußballprofis aus Stuttgart, München und Köln – Geld ein, um dem Arzt seines Vertrauens zu helfen. Insgesamt kam eine sechsstellige Summe zusammen. Auch der ehemalige VfB-Profi Hansi Müller soll einen fünfstelligen Betrag gespendet haben. Im „Spiegel“ hieß es damals: „Auch die Fußballer Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner sowie Dieter und Uli Hoeneß hatten – jeder fünfstellig – zu einem ‚Darlehen’ beigesteuert.“ Klümper galt bei Athleten aller Sportarten als „Wunderdoktor“ und „Trickser“(Hochsprung-Olympiasieger Dietmar Mögenburg).

Die meisten Spitzenathleten von damals haben heute keine öffentlichen Funktionen mehr. Dagegen hat Eberhard Gienger eine politische Karriere eingeschlagen und steht noch immer in der Öffentlichkeit. Seit 2002 sitzt der heute 64-Jährige im Deutschen Bundestag, sein Wahlkreis ist Neckar-Zabern. Er gehört dem CDU-Fraktionsvorstand an, ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Sport und Ehrenamt und sitzt im Sportausschuss. Er ist also Mitglied in eben jenen Gremien, die immer wieder mit der Aufarbeitung der Dopingvergangenheit befasst sind. Auch das neue Antidopinggesetz wurde dort vorbereitet.

Der Ex-Turner betonte stets seine strikte Ablehnung gegenüber Doping. Doch der ehemalige Spitzenturner wird dabei immer wieder von seiner Vergangenheit und von der Verbindung zu Klümper eingeholt – auch 2006, als er zum Vizepräsidenten für Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und damit zum zweitwichtigsten Sportfunktionär des Landes hinter Thomas Bach gewählt wurde, dem heutigen Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Unmittelbar vor der Wahl sorgte Gienger mit seinem Anabolika-Geständnis für Schlagzeilen. Bei der anschließenden Wahl wurde er abgestraft: Fast ein Drittel der DOSB-Mitglieder stimmten gegen Gienger als neuen Verantwortlichen für den deutschen Leistungssport – selten hatte es ein derart desaströses Ergebnis bei den fast gleichgeschalteten Wahlen im Sportdachverband gegeben. Drei Jahre später trat der Politiker vom Amt zurück – offiziell, weil er mit der gleichzeitigen Ausübung von Sportamt und Bundestagsmandat überfordert sei.

Das Anabolika-Geständnis kam nicht gut an

Sein Anabolika-Geständnis kam in der Sportwelt nicht gut an. Auch wenn Gienger nur wenig zugegeben hatte, und vor allem nichts, was eine leistungssteigernde Wirkung bei einem Wettkampf hätte nachweisen können. 1977 klang das noch ganz anders. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung bestätigte der Turner damals, dass Anabolika bei Sportlern durchaus hilfreiche Wirkung haben können. „Wenn jemand vor einem großen Wettkampf wie bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften an Grippe erkrankt, dann kann der aufgetretene Eiweißverlust nur durch dieses Präparat behoben werden.“ Der Turner folgte auch hier der Argumentation seines Arztes Klümper, der gebetsmühlenhaft die positiven Wirkungen von Anabolika heraushob und die Abgabe nur vom Willen des Athleten abhängig machen wollte.

Einigen Athleten wurde das zum Verhängnis. Klümper galt als großer Anhänger von Medikamenten-Cocktails. Gienger erinnerte sich vor einigen Jahren: „Professor Klümper war ein Arzt, der sehr großzügig verschrieben hat. Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich die Medikamente gar nicht alle essen konnte. Ich trug sie dann in die Apotheke zurück.“ Heute sagt Gienger dazu: „Es ist keinem Patienten möglich, sich nach mehr als 30 bis 40 Jahren an damalige Verordnungen im Detail zu erinnern.“ Seine Gesundheit und der saubere Sport standen bei ihm und seiner medizinischen Betreuung immer an erster Stelle, so Gienger weiter.

Doch Klümpers Motto war: viel hilft viel. Der Stuttgarter Fußballprofi Karlheinz Förster, der regelmäßig nach Freiburg fuhr, bestätigte 2005 im „Spiegel“-Interview, dass Klümper ein Mann war „bei dem man immer das Gefühl hatte: egal was ist, der hilft dir schon“. Der Siebenkämpferin Birgit Dressel wird Klümpers Medikamentencocktail allerdings zum tödlichen Verhängnis: Am 10. April 1987 stirbt die langjährige Klümper-Patientin an einem toxisch-allergischen Schock.

„Es geht einfach um biel Geld.“

In den 90er Jahren sind die Methoden Klümpers mehr und mehr umstritten. Seine Dementis, Sportler nie mit Dopingmitteln behandelt zu haben, finden immer weniger Glauben. 1991 sagte der Arzt: „Ich bin nicht für Doping. Aber solange es kein weltweites Kontrollsystem gibt, lässt sich das Problem nur über die Freigabe lösen. Außerdem leben wir in einer Leistungsgesellschaft, und es gibt kein moralisches Argument, warum Leistungssportler in dieser Gesellschaft eine andere Rolle spielen sollen. Es geht einfach um viel Geld.“

1997 beschuldigte die Sindelfinger Hürdensprinterin Birgit Hamann Klümper, sie ohne ihr Wissen mit einem Wachstumshormon behandelt zu haben. Das Verfahren gegen den Arzt wurde aber eingestellt. Der damalige Leichtathletik-Präsident Helmut Digel warnte danach vor Klümpers Behandlungsmethoden und wies darauf hin, „dass berechtigte Zweifel bestehen, ob an der Sporttraumatologischen Spezialambulanz Freiburg die internationalen und nationalen Antidopingbestimmungen hinreichend beachtet werden“.

Als Reaktion auf diese Anschuldigungen initiierte Klümper-Freund Gienger ebenfalls 1997eine Anzeige, in der er mit 27 Spitzensportlern wie Jürgen Hingsen, Astrid Kumbernuss, Lars Riedel und Christian Schenk den Arzt gegen „Neid, Missgunst und Diffamierung“ in Schutz nahm und seinen „ausgeprägten medizinischen Ethos“ lobte. Dazu erklärt Gienger heute: „Loyalität und Fairness stellen für mich hohe Werte dar.“ Solange Vorwürfe nicht erwiesen seien oder gegenteilige Vorwürfe vorlägen, „ist es für mich selbstverständlich, zu einem Menschen zu stehen“, so Gienger, „mich hat Herr Klümper menschlich und medizinisch zuverlässig unterstützt – dabei war Doping kein Thema!“

Bis heute äußert sich Klümper, der seit vielen Jahren in Südafrika lebt, nicht zu den Dopingvorwürfen. In seiner unveröffentlichten Autobiografie, die dem SWR vorliegt, prahlt er unter anderem mit „hervorragenden Kontakten in den Fußball“.