Autonomes Fahren und bessere Batterien: An diesen Erfindungen wird im neuen Entwicklungszentrum von Bosch getüftelt. Der 310 Millionen Euro schwere Neubau wird nächste Woche nach drei Jahren Bauzeit offiziell seiner Bestimmung übergeben.

Renningen - Die Sonne strahlt hell an diesem goldenen Herbsttag über der ehemalige Landebahn des Malmsheimer Flugplatzes. Wo früher das Militär und später die Segelflieger in die Luft gestiegen sind, wird jetzt die Zukunft des Automobils erprobt, am Rande des riesigen Bosch-Entwicklungszentrums mit 1700 Angestellten, das nach drei Jahren Bauzeit nun betriebsbereit ist. Der Wissenscampus ist das Gehirn, die Schaltzentrale für Erfindungen des Konzerns, in der die gesamte Forschung weltweit koordiniert wird.

 

Thomas Michalke sitzt in einem Audi auf der alten Landebahn, der ein bisschen wie das Googlemobil aussieht, der Lasersensor erinnert an eine Riesenkamera. Auch sonst steckt der Bolide voller Technik: Ein großer Monitor belegt den Beifahrersitz, im Kofferraum rauschen die Kühler von zwei Rechnern, unter dem Rückspiegel blinkt eine Stereo-Kamera. Dann gibt Thomas Michalke Gas und fährt auf einen Parcours aus Baustellenhütchen zu. Das Auto lenkt selbstständig. „Ich teste jetzt den Engstellen-Assistenten“, erzählt der Experte für Fahrer-Assistenzsysteme, „es geht um die Königsdisziplin des autonomen Fahrens: den Stadtverkehr.“ Da wird es mal schnell eng, es gibt keine weißen Fahrbahnstreifen rechts und links, Fußgänger laufen dazwischen.

Der Wagen beschleunigt, bis sich der Weg verschmälert. Ein VW-Transporter aus Schaumstoff steht links. Wie von Zauberhand schwenkt das Gefährt nach rechts, umschifft die Engstelle. 50 Meter weiter ist so wenig Platz, dass der Wagen nicht durchkommt – das System bremst ihn abrupt ab.

„Die Stereokamera erfasst die Umgebung“, erklärt Thomas Michalke. Der riesige Laser auf dem Dach dient übrigens nur der Kontrolle, ob die Sensoren auch richtig funktionieren. Etwa die Videokamera, die plötzlich auftauchende Fußgänger registrieren soll. Bis zu 15 Mal pro Sekunde wird ein solches „bewegliches Hindernis“ erfasst, dann verstärkt der Assistent automatisch die Lenkbewegungen des Fahrers. Irgendwann in der Zukunft weicht das Auto dann vollständig selbst aus.

Damit ist schon viel von dem erzählt, was in dem neuen Forschungszentrum von Bosch passiert. Der Technologiekonzern hat hier Mitarbeiter aus Gerlingen, Waiblingen und Schwieberdingen konzentriert, einen weitläufigen Campus rund um das 60 Meter hohe Hochhaus geschaffen. Die beiden Geschäftsleiter Michael Bolle und Jürgen Kirschner berichten direkt an Bosch-Chef Volkmar Denner.

Gut 310 Millionen Euro wurden auf einer Fläche von 43 Fußballfeldern investiert, 14 Gebäude und in der Mitte eine grüne Oase mit Entwässerungsseen errichtet. Organisiert hat das alles Klaus-Georg Bürger (65), der dafür extra seinen Ruhestand verschoben hat. „Das war schon eine enorme Herausforderung“, sagt der ehemalige Aachener, „das ist ja kein Einfamilienhaus.“ Einige der komplexen Labors im Ostteil sind noch immer nicht ganz umgezogen. Sonst ist aber alles fertig, präzise auf den Mitarbeiter zugeschnitten.

„Jeder einzelne hat höhenverstellbare Schreibtische“, nennt Bürger ein Detail, das die Qualität der Arbeitsplätze unterstreichen soll. Kurze Wege zwischen den Gebäuden und in diesen selbst sind die Maxime. Kein stupides Großraumbüro wie in den 60er Jahren. Zwar ist alles offen, aber kleinräumig unterteilt, mit einer großen Zahl von Besprechungszimmern. Die Kaffeeküchen in den Abteilungen sind klein, ja fast unattraktiv – dafür sind sie um so komfortabler in den sogenannten „Kommunikationszonen“.

Jede hat ihr eigenes Motto, vom Basketballfeld bis zur Sportzone mit Tischkicker. Besonders originell ist die Begegnungsfläche mit einem großen Hirschgeweih an der Wand. Darunter knuffige Ledersofas, Obstkörbe in den braunen Regalen, und eine Präsenzbibliothek mit so skurrilen Werken wie dem „Automobiltechnischen Handbuch“ von Bossien aus dem Jahr 1965 – Preis damals: 1,50 D-Mark, wie man der ersten Seite entnimmt.

Ein bewusster Kontrast zu dem hochmodernen Gebäude, eine Oase der Entschleunigung in einem Netzwerk der Industrie 4.0. Das soll Raum schaffen für zufällige Begegnungen und ungewöhnliche Ideen. Wie die vom vernetzten Thermometer im Spargelfeld. „Einige Mitarbeiter hatten die Idee von einem Sensor, der die Temperatur in einem Spargelfeld misst und die Daten an das Smartphone des Landwirts weitergibt“, erzählt ein Bosch-Sprecher. Denn Spargel wächst ideal bei 22 Grad.

Ziemlich schräg – aber für solche „Ideen ohne Geschäftsbereich“ ist eigens eine Bosch-Start-up-Plattform gegründet worden. Dieses Existenzgründer-Forum hat eine Außenstelle im regulären Industriegebiet der Stadt – ist aber angedockt an das Forschungszentrum. Aus dem Gedankenblitz vom Spargelfeld ist so eine profitable Geschäftsidee geworden, die in der Landwirtschaft bereits genutzt wird.

So werden hier in Renningen die großen und kleinen Ideen ausgebrütet. Eine große ist die von einem leistungsfähigen Akku, bei dem Bosch möglicherweise vor einem Durchbruch steht. Der könnte nicht nur die Automobilwelt revolutionieren, sondern auch Smartphones oder anderen Geräten längere Laufzeiten bescheren. Und vielleicht fährt in 10 oder 15 Jahren fast jedes Auto auch ganz selbstständig durch den dichten Stadtverkehr. Die Technologie dazu ist vermutlich hier entstanden – und wurde auf dem Rollfeld beim Malmsheimer Wald zum ersten Mal in der Praxis getestet.