Mehrere Leichtverletzte haben bereits Schmerzensgeld in Höhe von mehreren Hundert Euro erhalten. Die Zahlungen an die Schwerverletzten, darunter auch der fast erblindete Dietrich Wagner, sollen in den nächsten Wochen folgen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Knapp sechs Jahre sind seit dem Schwarzen Donnerstag ins Land gegangen. Nun fließen Schmerzensgelder an Demonstranten, die damals verletzt wurden. Neun Briefe hat das Polizeipräsidium dieser Tage verschickt, zwei Opfer hatten bereits im Frühjahr ihr Geld bekommen. Die Zahlungen, die zum Teil schon auf den Konten sind und zum Teil noch bezahlt werden müssen, bewegen sich im Bereich von mehreren Hundert bis zu etwas über 1000 Euro. Die fünf schweren Fälle, wie der des Rentners Dietrich Wagner, sind noch nicht dabei. Sie sollen nach Informationen unserer Zeitung hohe fünfstellige Summen erhalten.

 

Der Polizei liegen 19 Fälle von Verletzten vor, die Ansprüche erheben

Die Polizei berechnet nun die Beträge und geht auf diejenigen Verletzten zu, die Ansprüche geltend gemacht haben. „Die Fälle müssen ja in irgendeiner Weise dokumentiert sein“, sagt ein Polizeisprecher. Es könne sich jetzt „nicht einfach jeder, der dabei war“, melden. Es müsse ein Verfahren gegeben haben, wenigstens eine Anzeige, so dass der Vorfall aktenkundig sei. Außerdem müssten die Opfer Ansprüche an die Polizei formuliert haben. 19 Fälle liegen dem Polizeipräsidium Stuttgart vor, zum Teil stellten die verletzten Personen diese, manche kamen aber auch von den Krankenkassen. Die zwei bereits im Frühjahr gezahlten Beträge seien an Personen gegangen, deren Brillen zu Bruch gegangen waren. Deswegen hätte sich die Summe „um die 1000 Euro“ ergeben. Ein Mann, der von Wasser und Pfefferspray getroffen wurde, bekam nun 300 Euro zugesprochen: 250 Euro als Schmerzensgeld, 50 für die Reinigung seiner Kleidung.

Für die Höhe der Zahlungen habe man Vergleichsfälle herangezogen, „auch wenn es genau das Gleiche, nämlich schwere Verletzungen durch einen Wasserwerfer, noch nicht gegeben hat“, sagt der Polizeisprecher. Man habe Fälle analysiert, in denen Personen bei Polizeieinsätzen auf andere Weise verletzt wurden.

Die Forderungen nach Schmerzensgeldern und Schadenersatzzahlungen stellten die Opfer nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts im vergangenen November. Damals befand das Gericht, dass der Polizeieinsatz vom 30. September 2010, der in die Geschichte der Stadt als Schwarzer Donnerstag einging, unrechtmäßig war. Die Polizei war mit Wasserwerfern gegen Demonstranten vorgegangen, die im Schlossgarten gegen die Einrichtung einer Baustelle für den Tiefbahnhof des Projekts Stuttgart 21 protestierten. Etliche wurden verletzt.

Beträge zwischen 300 Euro und mehreren Zehntausend Euro fließen

Bei den meisten Leichtverletzten gehe es um Augenreizungen und Hautreizungen, die sie bei Pfeffersprayeinsätzen erlitten hatten. So etwa bei jenem Mann, der als Nebenkläger im Verwaltungsgerichtsverfahren aufgetreten war und die besagten 300 Euro erhält. Die Polizei teilte ihm mit, dass in seinem Fall „nach Abwägung der bekannten Umstände und unter Berücksichtigung von Vergleichsfällen“ der Betrag angemessen sei. Und fügt den Hinweis hinzu, dass die Schadenersatzansprüche eigentlich bereits verjährt seien.

Dass sie trotzdem etwas bekommen, hatte sich beim Treffen in der Villa Reitzenstein kurz vor Weihnachten angekündigt. Damals hatten sich der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Vertreter der Polizei bei den Opfern entschuldigt. Die Polizei kündigte damals an, auf die Opfer zuzugehen – was sie dann am 1. Februar dieses Jahres auch tat.

Post bekamen im Winter auch die fünf Kläger, die am Verwaltungsgericht auftraten und die zum Teil sehr schwere Augenverletzungen mit bleibenden Schäden erlitten hatten – unter ihnen der Rentner Dietrich Wagner, der sein Augenlicht fast vollständig verlor. Auch sie werden Geld bekommen, betonte der Polizeisprecher. „Wir verzögern da nichts, es sind aber immer noch nicht alle Forderungen bei uns eingegangen“, sagte er. In ein paar Wochen soll dann aber alles abgeschlossen sein. Das Geld komme aus dem Haushalt der Polizei und des Innenministeriums.

Anwälte kritisieren die Polizei

Die Anwälte sind zum Teil mit der Behandlung trotzdem nicht rundum zufrieden. „Bei dem Gespräch mit Winfried Kretschmann hieß es, man würde zügig auf uns zugehen. Es hat dann aber doch wieder ein paar Monate gedauert“, sagt Ursula Röder, die eine Verletzte sowohl im Verwaltungsgerichtsprozess über die Rechtmäßigkeit als auch im Landgerichtsprozess im Herbst 2014 vertrat. Ihre Kollegin Simone Eberle bezeichnete die an ihren Mandanten bezahlte Summe als einen „symbolischen Betrag“.

Wenn irgendwann in diesem Sommer alle Verletzten, die Ansprüche erheben können, Geld bekommen haben, dann ist dies ohne einen weiteren Prozess über die Bühne gegangen. Nach dem eingestellten Strafverfahren gegen zwei ranghohe Polizeibeamte hatten die Anwälte der Verletzten zunächst befürchtet, sie müssten die Ansprüche in einem weiteren Verfahren, einem zivilrechtlichen Prozess, einklagen. Dazu kam es nicht.