Ines Aufrecht leitet die Wirtschaftsförderung in Stuttgart. Sie geht davon aus, dass sich inhabergeführte Fachgeschäfte eher in den Nebenstraßen konzentrieren werden – und will sie unterstützen. Zugleich freut sie sich über den Erfolg der neuen Shoppingcenter.

Derart heftige Veränderungen hat es im Stuttgarter Handel bislang kaum gegeben. 20 Prozent neue Fläche durch Gerber und Milaneo, Karstadt in der City schließt und die kleinen Händler fürchten um ihre Existenz. Dennoch kann Ines Aufrecht dem Trend zur Filialisierung auch Gutes abgewinnen.
Frau Aufrecht, Gerber und Milaneo wurden nach der Eröffnung regelrecht gestürmt. Wie zufrieden sind Sie, dass die neuen Einkaufszentren bei den Bürgern so populär sind?
Ich freue mich, dass die Einkaufszentren bei den Leuten ankommen. Es ist zwar klar, dass das Interesse in der Anfangsphase besonders groß ist. Aber ich habe viele Menschen getroffen, die das Angebot der Center so interessant fanden, dass sie wiederkommen wollen.
Die Strategie, mit dem Milaneo das Europaviertel zu beleben, geht aus Ihrer Sicht auf?
Ja, aber das liegt nicht allein am Einkaufszentrum. Wir haben eine gute Nutzungsmischung. Wir haben die Bibliothek, wir werden sehr viel Wohnungsbau realisieren können, dazu Büros, Hotels und die Sparkassenakademie. Und mit dem Brunnen zwischen Milaneo und Bücherei haben wir den Mailänder Platz städtebaulich aufgewertet. Zudem ist der Mailänder Platz wegen der Gastronomie sehr attraktiv geworden.
Verbuchen Sie das als Erfolg der Wirtschaftsförderung?
Das ist die Arbeit der gesamten Stadt vom Gemeinderat bis zur Stadtplanung. Das war ein gesamtstädtischer Prozess, der jetzt zu einem guten Ende gekommen ist. All diese Flächen für den Handel auszuweisen, ist durch die Bebauungspläne begründet. Stuttgart ist eine Einkaufsstadt.
Ist das Aus von Karstadt in Stuttgart nun die erste Folge des enormen Flächenzuwachses im Handel durch die neuen Center?
Nein, die schwierige Situation des Gesamtunternehmens ist bereits seit 2012 bekannt. Die Center Milaneo und Gerber wurden erst in den vergangenen Monaten eröffnet. Dieser kurze Zeitraum führt sicher nicht zu einer unternehmerischen Entscheidung, einen Standort aufzugeben. Entscheidend ist, dass sich das Unternehmen nun seiner sozialen Verantwortung seinen Mitarbeitern gegenüber stellt.
Also fühlen Sie sich bestätigt, im Gegensatz zu Ihrem Chef, Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der sich noch bei der Eröffnung des Milaneos kritisch über die neuen Shopping-Malls geäußert hat?
Ich kann keine Unterschiede erkennen zwischen Herrn Kuhns Auffassung und der meinen. Wir sind beide den Entscheidungen des Gemeinderats verpflichtet – nämlich dem Beschluss der Bebauungspläne. Das hat Herr Kuhn bei der Eröffnung des Milaneos deutlich gemacht – und in seiner Rede auch den Betreibern wirtschaftlich Erfolg gewünscht. Unser beider Interesse ist eine lebendige Innenstadt – das gilt für die Königstraße, die Tübinger Straße und die Marienstraße genauso wie für den Mailänder Platz. Und dabei arbeite ich mit Herrn Kuhn gut zusammen.
Und was sagen Sie den kleineren Händlern, die angesichts der neuen Konkurrenz Angst um ihr wirtschaftliches Überleben haben?
Ich weiß um die Sorgen der Fachhändler und nehme diese sehr ernst. Aber ich kenne die Aktivitäten, die jetzt entstehen. Ich begrüße es zum Beispiel, wenn Interessen wie bei der City Initiative mit dem Bund der Traditionshäuser gebündelt werden. Zudem gibt es das Stadtteilmanagement der Wirtschaftsförderung, das speziell in den Außenbezirken aktiv ist.
Das heißt, dass es am Ende eines brutalen Verdrängungswettbewerbs nur Gewinner gibt?
Es ist ein Prinzip der Marktwirtschaft, dass es Neugründungen gibt – und Geschäftsaufgaben. Verlieren wird der, der nicht mit der Zeit geht. Wer heute etwa glaubt, im Handel ohne ein Angebot im Internet auszukommen, wird kaum am Markt bestehen können. Außerdem müssen die kleinen Geschäfte einen sehr individuellen Service bieten. Ich glaube, Individualisierung ist ein echter Megatrend, der sich da abzeichnet. Die Kunden suchen in den Fachgeschäften das Individuelle. Und auch Investitionen in Gebäude gehören dazu.
Wo wird die Kaufkraft im Umland abgezogen?
Das kann ich im Moment nicht abschätzen.
Sie haben aber die Center als Vorbild für die Händler in der Stadt bezeichnet. Wie darf man sich das vorstellen?
Das Management der Center geht professionell vor. Da wird gemeinsames Marketing gemacht, es gibt einen Ansprechpartner. Außerhalb der Center könnten eine City-Initiative, die Handels- und Gewerbevereine oder die Wirtschaftsförderung die Anliegen der Händler bündeln, damit sie eine stärkere Stimme nach außen bekommen. Das wäre eine ähnliche Strategie.
Hinkt der Vergleich nicht? Ein Center kann die Öffnungszeiten aller Mieter festlegen. In der Innenstadt öffnet jeder, wie es ihm gerade passt, selbst bei einer langen Einkaufsnacht.
Einheitliche Öffnungszeiten wären sicher von Vorteil, und gut wäre auch, wenn jeder Händler bei Aktionstagen mitmacht. Das ist nicht nur in der Innenstadt wichtig, sondern noch mehr in den Außenbezirken. Wenn ein Kunde kommt und der Laden hat geschlossen, wird der gesamte Standort negativ wahrgenommen. Außerdem halte ich es für wesentlich, ein gutes gemeinsames Erscheinungsbild zu haben.
Aber darüber wird doch schon seit Jahren gesprochen und kaum etwas hat sich verändert. Wer soll das vorantreiben?
Das beruht nun mal auf Freiwilligkeit. Das unterscheidet die City oder die Stadtbezirke von einem Center. Da gilt der Appell an den Einzelhandel: Wichtiger als die Klage über ausbleibende Kunden ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich die Kunden wohlfühlen. Hier setze ich auf das Engagement der Einzelhändler.
An einigen prominenten Stellen in der Stadt werden neue Nutzer gesucht, zum Beispiel am Marktplatz oder an der Calwer Passage. Könnte dort ein Gegenpol zu Gerber und Milaneo entstehen?
Ich sehe den Fachhandel stark in 1-B-Lagen wie der Eberhardstraße. An solchen Orten können sich Cluster bilden. Dort müssen wir schauen, was zur bestehenden Struktur passt und entsprechende Mieter an Eigentümer vermitteln. Über das Ergebnis entscheidet aber der freie Markt. Doch ich möchte das nicht auf die Innenstadt beschränken, wir müssen in Leerflächen immer möglichst hochwertige Nutzer hineinbekommen.
Ist das alles, was Sie tun können?
Nein, wir müssen auch in städtebaulicher Hinsicht helfen, also Aufenthaltsqualität schaffen, was dann wieder dem Handel hilft. Auch Sauberkeit, Sicherheit und das Problem des aggressiven Bettelns sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Das verursacht beim Kunden oft ein ungutes Gefühl. Shoppingcenter haben es einfacher. Hier gilt das Hausrecht. Doch die Unterstützung durch die Stadt hat ihre Grenzen. Die Immobilien sind im Regelfall im Besitz von privaten Eigentümern. Ich kenne Beispiele, da sind die Mietforderungen eben sehr hoch. Wenn ein Händler das nicht aufbringen kann, kann ihm die Stadt nicht helfen. Wir können keinen Einfluss auf private Verträge nehmen.
Wenn nur noch die großen Ketten die Mieten zahlen können, sieht Stuttgart bald aus wie jede andere Großstadt in Deutschland?
Sicher nicht. Aber in einem haben Sie recht: Der Trend zur Filialisierung läuft. Doch wir haben auch hiesige Unternehmen, die sich durch Filialisierung erst profitabel machen. Beispielsweise bei Bäckern und Metzgern denkt man das oft gar nicht, doch die können ihre Produktion bündeln und dadurch größere Margen erzielen. Es wäre also falsch zu sagen, dass dieser Trend grundsätzlich schlecht ist. Entscheidend ist am Ende, wo der Kunde einkauft und ob der vielfältige Einzelhandel als Bereicherung wahrgenommen und genutzt wird. Doch dieser Service hat seinen Preis. Wenn ich diese Läden erhalten will, muss ich dort einkaufen.