Die Beförderung des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen durch Innenminister Seehofer treibt die SPD fast in den Wahnsinn. Kanzlerin Merkel und SPD-Chefin Nahles sind machtlos.

Berlin - Was für eine bezeichnende Szene: Vor dem Willy-Brandt-Haus, so berichtet es Juso-Chef Kevin Kühnert, könne man sich „heute von verstörten Ex-Mitgliedern persönlich die Austrittsschreiben aushändigen lassen“. Er halte ja nichts von Austritt, twittert der 29-jährige Kühnert. Aber von der Groko, so viel ist klar, hält er noch viel weniger.

 

Die SPD, sie hat sich in dieser großen Koalition schon vor dieser erneuten Krise völlig ausgetrocknet gefühlt. Nicht wegen des heißen Sommers, sondern wegen der Aussichtslosigkeit des Unterfangens, gegen die medienwirksame Macht immer neuer CSU-Volten eigene Akzente in dieser Regierung zu setzen. Wen interessieren schon ein paar Milliarden Euro mehr für die Kinderbetreuung, wenn ein wüst spekulierender, taumelnder Verfassungsschutzpräsident mit dem Segen von SPD-Chefin Andrea Nahles die Karriereleiter hinauf statt hinab stolpert. Deshalb haben die Genossen im Sommer ja auch öffentlich gemahnt und gewarnt nach dem haarscharf abgewendeten Scheitern der Koalition im Juli, solche Spielchen mögen endlich aufhören. Auch bei Kanzlerin Angela Merkel hatte die SPD-Spitze hinterlegt, dass es so nicht weitergehen könne. Dass die Partei mit der Geduld am Ende sei. Und dann? Ging es nicht nur einfach so weiter. Es wurde schlimmer.

Es geht um Herz und Seele der SPD

Mag der irrwitzige Streit im Juli über die von Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer geforderte Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze aus Sicht der SPD schon verstörend und demokratiezersetzend genug gewesen sein, so geht es jetzt nicht mehr nur um eine heftig umstrittene politische Frage. Es geht um das Selbstverständnis der Partei, um Herz und Seele zugleich. Um das zu verstehen, reicht es aus, die Bundestagsdebatte vor wenigen Tagen verfolgt zu haben. Da sprang der glücklose einstige Kanzlerkandidat und SPD-Chef Martin Schulz nach einer gewohnt provozierenden Rede des AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland vom Sitz auf und brandmarkte ihn, mit den altbekannten Instrumenten des Faschismus zu operieren, weshalb er auf den „Misthaufen der Geschichte“ gehöre.

An den Umfragewerten der AfD, das weiß man mittlerweile, ändern solch pathetische Auftritte wenig. Aber der SPD, die verzweifelt nach Orientierung sucht, geben sie unendlich viel. Mögen die Genossen in noch so vielen Fragen nicht wissen, wo sie hinwollen, die Gewissheit, Bollwerk gegen rechts zu sein, eint sie alle. Deshalb sprangen sie ja auch auf, als Schulz mächtig auf die Pauke gehauen hatte, applaudierten ergriffen, für ein paar Sekunden entschlossen statt zaudernd.

Andrea Nahles wusste deshalb genau, dass der Streit um Hans-Georg Maaßen eine neue Qualität darstellte. Die SPD konnte nicht ertragen, dass der nun aus dem Amt beförderte Verfassungsschutzchef ohne Beleg in der „Bild“-Zeitung die Authentizität eines Videos anzweifelte. Als er gar mutmaßte, mit einer fingierten Darstellung einer Jagdszene auf einen Ausländer bei den Ausschreitungen in Chemnitz habe gezielt von der Tötung eines Deutschen, mutmaßlich durch die Messerstiche eines abgelehnten Asylbewerbers, abgelenkt werden sollen, war das Maß voll. Schließlich waren Genossen eigenen Berichten zufolge selbst von Nazis angegriffen worden.

„Unerträglich“, schimpft Leni Breymaier

Eigentlich hält Andrea Nahles einen Bruch der Koalition für eine SPD, die nach der Bundestagswahl Umfragen zufolge noch immer auf der Intensivstation liegt, für lebensbedrohlich. Dennoch musste sie angesichts der Stimmung in der Partei Maaßens Kopf fordern. Nun wird er, mit ihrer Zustimmung, Staatssekretär im Innenministerium und 2500 Euro im Monat reicher, statt einen Kopf kürzer.

Die Reaktionen in der SPD sind von verzweifelter Wut geprägt. Der Bundestagsabgeordnete Florian Post will wissen, „was die denn gesoffen“ haben bei ihrer Krisensitzung im Kanzleramt. „Unerträglich“ nennt Südwest-Landeschefin Leni Breymaier den Vorgang. Die in Bayern wahlkämpfende Natascha Kohnen fordert die SPD-Minister im Bundeskabinett auf, Maaßens Beförderung nicht durchzuwinken. Auch die Hessen machen Dampf. Der ehemalige Parteichef Sigmar Gabriel, ohnehin schlecht auf Andrea Nahles zu sprechen, holt verlässlich zum Rundumschlag aus. Wenn Unfähigkeit und Illoyalität jetzt Karrieren beförderten, dann könne Horst Seehofer schon bald UN-Generalsekretär werden, spottet er: „Die Leute gucken auf uns und fragen sich: Haben die sie noch alle?“ Das sei „irre“.

Als ob es nicht schon genug brennen würde, zündelt Seehofer weiter. Er hat am Tag nach dem Deal im Kanzleramt zur Pressekonferenz geladen, um die Details zu erläutern. Erklärt, dass er sich mit einer Nachfolgeregelung für Maaßen, den er noch dazu über den grünen Klee lobt, etwas Zeit lassen will. Bereits geklärt ist, dass für Maaßen kein weiterer Staatssekretärsposten geschaffen wird – lieber versetzt Seehofer mit Gunther Adler ausgerechnet einen SPD-Mann mit nur 55 Jahren in den einstweiligen Ruhestand. Fast genüsslich führt der CSU-Chef aus, dass alle „Folgen der Grundentscheidung“ beim Treffen mit Nahles bekannt gewesen seien. Auch die Mitteilung, die später an die Presse ging und die Ernennung zum Staatssekretär beinhaltete, „lag klar leserlich vor uns“, wie Seehofer anmerkt. Er sei auch „kein Freund von geteilten Verantwortungen“ und „zu keiner Sekunde Auslöser oder Verursacher“ der aktuellen Lage gewesen: „Wie andere Parteien vorgehen, das ist wirklich nicht meine Zuständigkeit.“

Nahles schreibt einen Brief an die SPD-Miglieder

Dass er Nahles ausgerechnet in einem Punkt stützt, der an diesem Tag nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt, setzt dem Ganzen für die Sozialdemokraten noch die Krone auf. Vereinbarungsgemäß werde Maaßen nicht die Aufsicht über den Verfassungsschutz erhalten, sagt Seehofer, sondern für die Sicherheit zuständig sein: „Da kann sich Frau Nahles drauf verlassen.“

Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller platzt da der Kragen. „Was wir hier erleben, ist wirklich unwürdig“, klagt der SPD-Mann: „Maaßen als Staatssekretär für Sicherheit zu berufen, kann nur als weitere Provokation eines Innenministers gelesen werden, der jede Bodenhaftung verloren hat.“ Juso-Chef Kühnert geht noch weiter. Sein Verständnis sei „bei unter Null“, twittert er: „Wahnsinn“. Parteivize Ralf Stegner antwortet: „Recht hat er“. So weit wie Kühnert, der das Ende der Koalition fordert, geht Stegner zwar nicht, aber wer, wie er, von einem „Desaster“ spricht und sich von Wahnsinn umzingelt wähnt, der dürfte ein Interesse haben, ihm zu entkommen. Die SPD, das wird schnell klar, sie droht zu brennen, lichterloh.

Und Nahles? Schweigt zunächst, telefoniert in ihrem Heimatort in der Eifel, holt Rat ein, misst Fieber und spürt, dass die Partei glüht. Sie schreibt einen Brief an die Mitglieder, der das Leid lindern soll, tritt um 16 Uhr vor die Kameras, schimpft über Seehofer, aber immerhin sei ein Neustart beim Verfassungsschutz möglich. Die Koalition will sie wegen Seehofer nicht platzen lassen, trotz der neuen Demütigung. Sie sagt den Grund so offen nicht, aber sie wird so denken: Weil dann die AfD ganz oben wäre. Und die SPD am Ende.