Der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson und Innenministerin Theresa May haben die besten Chancen, Regierungschef zu werden. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Kandidaten.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Seine Abschiedsvorstellung in Brüssel hat der britische Premierminister David Cameron diese Woche gegeben. Als nächstes wird, daheim in London, sein Nachfolger bestellt. Anfang September soll feststehen, wer neu in No.10 Downing Street, der britischen Regierungszentrale, einzieht – wer also das Vereinigte Königreich aus der EU führt.

 

Kandidaten fürs höchste britische Amt können sich bis zu diesem Donnerstagmittag melden. Von kommendem Dienstag an treten dann die 331 konservativen Unterhausabgeordneten zweimal die Woche zu Abstimmungen zusammen, um nach und nach zu ermitteln, wer die zwei populärsten Kandidaten sind. Anschließend beginnen diese beiden Kandidaten eine Wahlkampagne. Die rund 150000 Parteimitglieder der Tories entscheiden danach per Briefwahl, wer den Vorsitz übernehmen soll – und damit automatisch auch das Amt des Premierministers.

Hat Johnson das Zeug, das Land zu führen?

Als Favorit der Parteibasis galt bislang BORIS JOHNSON. Der 52-jährige Ex-Bürgermeister von London ist nach Cameron der bekannteste Politiker der Tories. Seine Popularität hat teils mit seiner Erscheinung – dem blonden Wuschelkopf, dem Rucksack, dem Fahrrad – zu tun, und teils mit seinem unkonventionellen politischen Auftreten. Johnson weiß spontan zu sein, witzelt gern und würzt seine Äußerungen auch mal mit einem lateinischen oder französischen Sätzchen. Er scheut sich nicht, mit populistischen Slogans auf Stimmenfang zu gehen.

Als Cameron sein EU-Referendum ausschrieb, sah Johnson eine Chance, sich auf die Seite der „Brexiteers“ zu schlagen und als Wortführer der EU-Gegner aufzutreten. Das verschaffte dem früheren Londoner Bürgermeister große Prominenz in den letzten Wochen – und nach Ansicht seiner Anhänger auch das Recht, das Land nun aus der EU zu führen. Allerdings gibt es Probleme. Johnson selbst hatte offenbar nicht mit einem Brexit-Sieg gerechnet und besaß, als es so weit war, keinen Plan. Seine bisher enthüllten Ideen zur Zukunft (Binnenmarkt ja, Freizügigkeit nein) sind von EU-Sprechern bereits als „Träumerei“ zurück gewiesen worden. Neuerdings fragen sich auch viele Tories, ob „Boris“ wirklich ausreichende Qualitäten für den Top-Posten hätte, statt nur ein beliebter Schelm auf der politischen Bühne zu sein.

Die Innenministerin ist die Hauptkontrahentin

THERESA MAY, Johnsons Hauptkontrahentin, kann andererseits mit sechs Jahren ministerieller Erfahrung aufwarten. Die 59-Jährige ist seit 2010 Innenministerin. Sie hat eine Rekordzeit auf einem Posten verbracht, dessen Inhaber sonst oft schnell scheitern. May wird generell als kompetent, wenn auch nicht gerade als visionär betrachtet. In Eastbourne an der englischen Südküste geboren, ging May später nach Oxford, wo sie Geografie studierte und sich Kenntnisse im Finanzbereich aneignete. Sie arbeitete für die Bank of England, die englische Zentralbank, schaffte es 1997 ins Unterhaus und erklomm während der 13 Oppositionsjahre der Tories beharrlich die Karriereleiter. Im Innenministerium hat May immer eine harte Linie vertreten, zum Beispiel in Sachen Migration und Menschenrechte. Der freie Zuzug von Migranten ist ihrer Ansicht nach an zahllosen Job-Verlusten und an den niedrigen Löhnen britischer Arbeiter schuld.

Im Referendum-Streit schlug sie sich auf die Seite Camerons und der EU-Befürworter, hielt sich aber in der öffentlichen Debatte völlig zurück. Nun hofft sie, dass sie die über Europa aufgebrochene bittere Kluft in der Partei überbrücken kann – und dass Parteikollegen, die Zweifel an Johnson haben, sich hinter ihr sammeln werden. Zwar fehlt es ihr an Charme und an Volksnähe, wie sie „Boris“ zur hohen Kunst entwickelt hat. Dennoch glauben viele Tories, dass May, für die kommende schwierige Zeit, die bessere Wahl wäre. Diese Woche übertraf sie in einer Umfrage unter Tory-Wählern Johnson erstmals knapp.

Ein Bewerberfeld mit vielen Namen

Außer May und Johnson gibt es eine Reihe weiterer Tory-Politiker, die eine Kandidatur angekündigt haben oder erwägen. Der bisher wenig bekannte walisische Arbeitsminister STEPHEN CRABB (43) sieht sich als „blue collar“-Alternative zu den „Eton Boys“, als Tory aus den „unteren Schichten“, der auch Labour- und Ukip-Wähler ansprechen will. Gesundheitsminister JEREMY HUNT (49), wiewohl sehr umstritten, hat ein zweites EU-Referendum, nach Aushandlung eines EU-Austritts-Vertrags, in Aussicht gestellt.

LIAM FOX (54), zeitweise Camerons Verteidigungsminister, will es offenbar noch einmal wissen: Der ausgesprochene EU-Gegner und Parteirechte unterlag bei der Wahl zum Parteisitz 2005 Cameron. Und Bildungsministerin NICKY MORGAN (43), eher im Mittelfeld ihrer Partei angesiedelt, erwog am Mittwoch ebenfalls eine Kandidatur. Sie ist für eine behutsamere Linie in Sachen EU.