Der Gemeinderat hat den Haushalt der Landeshauptstadt verabschiedet. Darin verteilt er Wohltaten, investiert aber zu wenig in die Zukunft. Auf die Folgen der nahenden Fahrverbote etwa bereitet sich die Stadt nicht ausreichend vor, meint Jörg Nauke.

Stuttgart - Nach fast 100 Stunden hat der Stuttgarter Gemeinderat mit der Kommunalverwaltung den Doppelhaushalt 2018/2019 mit sieben Milliarden Euro Umfang und Investitionen von 700 Millionen Euro unter Dach und Fach gebracht. Dass man dafür nicht einmal mehr eine Kreditermächtigung für nötig erachtet, unterstreicht die sehr gute finanzielle Ausgangsposition der Stadt. Aber nur zur Erinnerung: Die hohe Liquidität basiert auch darauf, dass die Infrastruktur über Jahre hinweg kaputt gespart, Verkehrs- und Energiewende mit angezogener Handbremse betrieben und für die Daseinsvorsorge notwendige Leistungen wegen Personalmangels gestrichen worden sind. Diese mit Verweis auf drohende schlechte Zeiten praktizierte Haushaltspolitik hat nicht nur auf Straßenbelägen, Schäden hinterlassen. Die Reparaturkosten engen den Spielraum für wahre Zukunftsinvestitionen ein.

 

Dennoch parken auf dem städtische Rücklagenkonto fast zwei Milliarden Euro. Aber bodenlose Fässer gibt es ausreichend: Der Klinikumsneubau ist ein schwerkranker Patient, und die Straßenbahnen AG wird eher 700 als die gebunkerten 70 Millionen Euro benötigen, will man tatsächlich 20 Prozent der Autofahrer zum Umstieg bewegen.

Die Gießkanne ist für fast alle da

Der Gemeinderat hat sich allerdings in besserem Einvernehmen als vor zwei Jahren in der Verteilung von Wohltaten geübt. Damals beschlossen CDU und Grüne den Haushalt im Alleingang. Diesmal reichte die Gießkanne für alle Fraktionen– außer für die AfD. Dies sorgte dafür, dass jetzt keine Einrichtung zu kurz kommt. Aber ehrlich: Wann, wenn nicht jetzt, sollen Kulturstätten, soziale Einrichtungen, Sportvereine – und damit die Bürger dieser Stadt vom Geldsegen profitieren? Ein Sündenfall bleibt: Von der Senkung der Grundsteuer 2019 um 20 Prozent profitieren zur Hälfte die Konzerne, und beim Bürger kommt nur wenig an von jährlich 30 Millionen Euro, mit denen der ÖPNV noch attraktiver gemacht werden könnte.

Wer Lösungsansätze für die wahren Herausforderungen erwartet hat, wird enttäuscht. Es ist ein schwacher Trost, dass es die letzten Haushaltsberatungen ohne Fahrverbot sein dürften. Die Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten werden so gravierend sein, dass über andere Summen und Maßnahmen zur Beschleunigung von Verkehrs- und Energiewende beraten wird. Der Wandel von der autogerechten zur menschengerechten Stadt ist mit homöopathischer Dosierung nicht zu schaffen.

Kein großer Wurf beim Wohnungsbau

Und wer darauf hoffte, dass in den Beratungen der große Wurf gegen die Wohnungsnot gelingen könnte, sieht sich ebenfalls enttäuscht. Es liegt nicht am Geld, das Hauptproblem der Stadt ist die insgesamt geringe Verfügbarkeit von Grundstücken, die selbst bebaut oder an günstig vermietende Baugenossenschaften verkauft werden können. Der Rat hat sich zwar auf eine etwas ambitioniertere Bodenvorratspolitik verständigt, doch was nützt ein höherer Etat, wenn die Verwaltung ihr eigenes Monopoly spielt? Bleibt die Hoffnung, dass die Fraktionen wenigstens stärker als bisher auf die Ausübung von Vorkaufsrechten dringen.

Wenigstens ist dieser Haushalt ein „Personalhaushalt“ – behauptet zumindest der neue Bürgermeister Fabian Mayer, der noch frech ein Ausrufezeichen dahinter setzt, weil er bei der Addition auf 500 (!) neue oder entfristete 500 Stellen gekommen ist. Das sind aber deutlich weniger, als von den Fachreferaten als notwendig betrachtet werden; deren Chefs trauen sich längst nicht mehr, dem Kämmerer die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Neue Jobs gibt es zudem, weil neue Aufgaben hinzukommen und OB Kuhn Stuttgart grüner und sauberer haben will. Wo aber dringend Unterstützung wegen akuter Arbeitsüberlastung notwendig wäre, diese aber nicht augenfällig ist wie im Jugend- oder im Personalamt, bleibt der Haushalt hinter den Erwartungen zurück. Es ernüchtert auch die mangelnde Einsicht, dass nur ein großzügiger Arbeitgeber den Verlust von jährlich 500 altersbedingt ausscheidenden Beschäftigten auf dem umkämpften Arbeitsmarkt kompensieren wird. Meyer will Erzieherinnen bald den monatlichen Großstadtbonus von 100 Euro streichen. Hinter diese Maßnahme gehört wahrlich ein Ausrufezeichen.