Bundeskanzlerin Angela Merkel liebt Probleme, sagt sie zumindest von sich selbst. Dann müsste sie ja momentan zufrieden sein, denn die NSA-Affäre macht ihr derzeit zu schaffen.

Berlin - Es ist noch nicht viel Zeit vergangen in dieser Sommer-Pressekonferenz, da durchbricht Angela Merkel die eingeübte Routine des politischen Pingpongspiels zwischen ihr und den Journalisten. Wie so oft ist es eine schlichte, uneitle, ja banale Frage, die  das berechenbare Allerlei der Aussagen durchbricht. „Was denn ihre Treibkräfte sind“, will der Kollege eines ausländischen Mediums wissen. Er meint, was sie jeden Morgen aufs Neue bewege, diesen Knochenjob anzutreten. Man sieht Merkel an, dass sie sich  in ihren Kokon sorgsam  vorbereiteter Verteidigungsmuster zurückzieht. Sie hat „Streitkräfte“ verstanden, ein schwieriges Feld in Zeiten abstürzender Drohnen und lauschender Bündnispartner, vermint, könnte man sagen. 

 

Es dauert einen Wimpernschlag, bis ihre politische Sensorik  ihr meldet, dass es sich hierbei nicht etwa um eine Finte oder eine Falle handelt, sondern schlicht um ein Missverständnis.  „Aaah!“, ruft sie erleichtert, und dann entspannt sie sich für Sekunden. „Sie meinen: meine Triebkräfte“. Es folgt einer dieser seltenen Augenblicke, in denen die Fotografen  ihr Gerät auf Dauerfeuer stellen –  weil sie lächelt, sich mal kurz durch die Haare fährt, eben nicht ein Bild der totalen Kontrolle abgibt, unangreifbar und langweilig zugleich. </p><p>Und es ist einer dieser raren Momente, in denen sie öffentlich fast schon selbstvergessen ins Plaudern gerät – wenn auch nur für einen Satz. 

Merkel prognostiziert ein stabiles Hoch

Bundeskanzlerin sein sei „eine schöne, inspirierende Arbeit dahingehend, dass sie immer wieder neue Probleme haben“. Sie ist irritiert, wundert, sich über die allgemeine Heiterkeit im Saal. „Ja sie lachen darüber“, sagt sie und sieht dabei aus, als sei sie sich nicht ganz sicher, ob sie beleidigt oder amüsiert sein soll, weil sie wieder mal nicht verstanden wird, wenn sie Spurenelemente ihrer Persönlichkeit preisgibt. „Wer das nicht aushält, der kann nicht Bundeskanzler sein“, frotzelt sie. Dann zieht sie sich wieder zurück. Schultern hoch, Arme an den Körper gepresst. Folgt man ihrer Stellenbeschreibung, dann sind es seltsame, womöglich ziemlich einsame Menschen, die diesen Job aushalten. Vor allem dürfte Merkel dann in diesen Sommertagen zufrieden, ja, fast schon glücklich sein, denn wenn es ihr an etwas nicht mangelt, dann sind das – Probleme! Die Lage ist paradox, vergleichbar mit dem Hochwasser der Elbe. Dort brannte die Sonne vom Himmel, als das Wasser leise, aber unaufhaltsam stieg. Auch Merkel prognostizieren die Politmeteorologen  ein stabiles Hoch in den Befragungen, zumal die Genossen ein wenig gewittrig daherkommen.   Aber dennoch: wenn sie nicht aufpasst, steht auch ihr bald womöglich das Wasser bis zum Hals.

Seite 2: Chaotischer als bei Pippi Langstrumpf

Vergleichsweise wenig Mühe bereitet es ihr bis jetzt, sich die Krise ihres Lieblingsministers Thomas de Maizière vom Leib zu halten, die kommende Woche in einen Untersuchungsausschuss mündet. Der verteidigt sich in der Euro-Hawk-Affäre zwar mit dem eigenwilligen Argument, keine Ahnung davon zu haben, dass es in seinem Haus chaotischer zugeht als in Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Aber mehr als einen treuen Gefährten hat sie selbst  nicht zu verlieren. Für die in Personalfragen nicht zimperliche Merkel wäre das im Ernstfall kein zu hoher Preis, wenngleich  es im Wahlkampf misslich wäre.

Politisch schwierig zu handhaben: der Fall Snowden

Politisch weit schwieriger zu handhaben ist für sie die Sache, die ihr der Whistleblower Edward Snowden eingebrockt hat. Bei der zähen Aufklärung der   Machenschaften des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland ist das Eis dünn, auf dem Merkel steht. Und das nicht etwa, weil sich die Deutschen erschüttert zeigen würden darüber, dass womöglich so gut wie alles, was sie sagen, simsen und surfen, von einer US-Behörde  gespeichert werden könnte, sondern deshalb, weil die Kanzlerin sich, was sie selten genug tut,  festgelegt hat. Als die ersten Berichte über das NSA-Spähprogramm Prism veröffentlicht wurden, sagte Merkel, die Bundesregierung, auch sie selbst, hätten erst aus den Medien davon erfahren. Seitdem winden sich die Sprecher der Regierung, um zu verhindern, dass die Kanzlerin sich revidieren muss. Es darf nicht sein, dass irgendeine Regierungsstelle von diesem gigantischen Ausspähprojekt wusste. Deshalb muss jetzt ein in Afghanistan eingesetztes US-Geheimdienstprogramm, das ebenfalls Prism heißt, unbedingt ein anderes sein. Sozusagen ein gutes, das deutsche Soldatenleben rettet und nicht Grundrechte in Deutschland missachtet, denn sonst hätte Merkel womöglich gelogen, weil zumindest Teilen der Bundeswehr das zweite Prism bekannt war.

Seite 3: Alles weitere später

So kompliziert und für die Wähler unübersehbar das NSA-Programm Prism ist, so schlicht und verheerend einfach zu verstehen wäre dieser Vorwurf. Weshalb sich nicht nur Kinder, sondern auch Kanzlerinnen besser nicht dabei  erwischen lassen. Der Lüge folgt in der Politik nicht selten der Rücktritt, in jedem Fall aber eine stürmische Zeit. Mag sein, dass dies der Grund dafür ist, weshalb Merkel  in den Sommerinterviews der Fernsehsender, gefragt zu Prism,  überraschend nervös und fahrig wirkte. Diesmal aber behält sie die Kontrolle. Sie wirkt etwas abgekämpft, aber konzentriert und präsent. Sie hat sich eine einfache,  effektive Strategie zurechtgelegt.  Die lautet: ich weiß zwar von nichts, garantiere aber, dass alles  –  künftig – mit rechten Dingen zugeht. „Wer heute hierhergekommen ist mit der Erwartung, dass ich das Ergebnis von solchen Aufklärungsarbeiten vorstellen könnte, der ist mit einer falschen Erwartung hierhergekommen“, sagt sie. Es sei ihr „völlig unmöglich, hier eine Analyse von Prism vorzunehmen“. Stattdessen spricht sie vage davon, dass man sich international zusammentun müsse, um zumindest in Europa Standards für mehr Datensicherheit und Grenzen für die Geheimdienste festzulegen.

Seltsame Menschen, diese Journalisten

Alles Weitere später, nach Abschluss der Aufklärung, wenn die Amerikaner den deutschen  Fragenkatalog abgearbeitet haben, das dauern kann. Womöglich bis nach  dem 22. September, der Bundestagswahl? Da gebe es keinen Zusammenhang, sagt sie – natürlich nicht.   </p><p>Sie versteckt sich in einem Nebel aus Selbstverständlichkeiten. Sagt, dass Freiheit und Sicherheit immer in einem gewissen Spannungsverhältnis stünden. Ping. Dass der Zweck nicht alle Mittel heilige. Pong.  Dass man auf der anderen Seite nicht vergessen dürfe, was die USA nach dem 11. September alles mitgemacht hätten, und auch nicht, was Deutschland dem Land alles verdanke. Ping. Vor allem wiederholt sie einen Satz: „Auf deutschem Boden hat man sich an deutsches Recht zu halten.“

Pong. Eine Frage lockt sie dann doch ein wenig aus der Reserve. Wie es denn sein könne, dass eine detailversessene Physikerin wie sie, die sonst bei jedem x-beliebigen Thema bei Bedarf Zahlenkolonnen ausspuckt, sich bei Prism nach mehreren Wochen Aufarbeitungszeit noch immer ahnungslos gebe? Da wird sie sogar leicht pampig. „Es ist nicht meine Aufgabe, mich in die Details von Prism einzuarbeiten“, sagt sie. Und was die Physikerin Merkel betrifft, wolle sie klarstellen: „Ich habe meinen Beruf gewechselt.“Ein paar Termine noch, an der Ostseeküste, in Sachsen-Anhalt, dann verabschiedet sich die Kanzlerin in den Urlaub. Wagner-Festspiele in Bayreuth, danach Wandern in Südtirol. Ob sie sich da erholen könne? „Mit der Erholung der Bundeskanzlerin ist das so, dass der sicherste Weg sowieso der ist, dass man sich während der Arbeit erholt.“  Gelächter, sie stutzt. Scheint so, als habe sie wieder mal gar nicht lustig sein wollen. Dann lacht sie mit. Seltsame Menschen, diese Journalisten, mag da Angela Merkel denken.