Die Volleyballerinnen des Allianz MTV Stuttgart spielen von Sonntag an um die deutsche Meisterschaft. Kann die Stadt nach vielen Jahren endlich wieder eine große Mannschaftsmeisterschaft feiern? MTV-Trainer Guillermo Naranjo Hernandez spricht darüber im Interview.

In der Finalserie um die Meisterschaft trifft Allianz MTV Stuttgart auf den Dresdner SC. Der MTV-Trainer des Volleyball-Bundesligisten Guillermo Naranjo Hernandez spricht vor dem ersten Spiel am Sonntag (14 Uhr) über das Finale und die Situation in Stuttgart.

 
Herr Hernandez, wann haben Sie zum letzten Mal Gitarre gespielt?
Ich spiele immer mal wieder. Allerdings muss ich mir dazu die Gitarre von Kim Renkema ausleihen, meine eigene habe ich nicht mit nach Deutschland gebracht. Früher hatte ich jedoch noch mehr Zeit zum Üben. Bis ich 2012 nach Deutschland kam, habe ich mit verschiedenen Bands fast 200 Konzerte gegeben. Einmal haben wir sogar ein Musikvideo produziert – wir waren semiprofessionelle Rockstars.
Statt mit ihrer Band rocken Sie gerade mit ihrem Team die Volleyball-Bundesliga. Hatten Sie schon Zeit, die Erfolge zu genießen?
Nein, das brauche ich aber auch gar nicht. Ich bin nicht der Typ, der gerne zurückschaut, sondern ich schaue immer nach vorne. Meiner Meinung nach wird man nicht nach der Vergangenheit, sondern nach der Gegenwart beurteilt. Klar haben wir den Pokal gewonnen. Und 2013 habe ich als Trainer mit Karla Borger und Britta Büthe als erstes europäisches Team eine Medaille bei einer Beachvolleyball-Weltmeisterschaft geholt. Aber das ist jetzt vorbei. Daran erinnert sich niemand mehr. Es zählt nur noch das Hier und Jetzt.
Bedeuten Ihnen diese Erfolge denn gar nichts mehr?
Natürlich bedeuten mir diese Erfolge etwas – sehr viel sogar. Aber man kann nicht in der Vergangenheit leben. Die Erfolge zeigen mir, dass ich etwas richtig gemacht habe und daraus muss ich für die Zukunft lernen. Aber stellen Sie sich vor, wir wären gegen den USC Münster im Viertelfinale der Play-offs ausgeschieden. Dann hätte es niemanden mehr interessiert, dass wir den Pokal gewonnen haben und in der Hauptrunde Zweiter wurden.
Sie haben aber gegen Münster gewonnen und danach Schwerin besiegt. Im Finale wartet nun Dresden. Haben Sie Angst?
Wir haben großen Respekt vor Dresden, aber mit Sicherheit keine Angst. Dresden ist amtierender Deutscher Meister und hat in der Hauptrunde nur ein einziges Spiel verloren. Sie haben uns in dieser Saison bereits zweimal geschlagen. Auf dem Papier sind sie deshalb vielleicht die bessere Mannschaft, aber das hat nichts zu bedeuten. Es geht bei 0:0 los, und was vorher war, zählt jetzt nicht mehr. Außerdem liegt der Druck auf Dresden. Wir können einfach spielen und sehen, was passiert. Aber ich bin darauf gespannt, wie Dresden mit dieser Situation umgeht.
Was muss passieren, damit Ihr Team in Dresden gewinnt?
Wir müssen an uns glauben. Wir müssen an unser Spiel glauben. Wir müssen an unsere Chance glauben. Und wir müssen daran glauben, dass ein Spiel erst dann zu Ende ist, wenn der letzte Punkt vergeben ist. Daran haben wir bisher immer geglaubt – und das hat uns stark gemacht. Außerdem ist es für den Gegner extrem schwierig, wenn er spürt, dass wir als Mannschaft niemals aufgeben. Wir werden sehen, was in Dresden passiert. Aber der Glaube an unsere eigene Stärke wird der Schlüssel zum Erfolg sein.
Ihr Team hat sich für die Champions League qualifiziert. Kann aber wohl nicht antreten, weil 150 000 Euro fehlen. Frustriert Sie das?
Natürlich. Ich will in der Champions League spielen. Die Champions League ist das Größte – auch für die Spielerinnen. Keine von ihnen hat bisher in diesem Wettbewerb gespielt und hätte vielleicht auch nie die Chance dazu bekommen. Wir haben uns das mit unseren Erfolgen verdient, deshalb sollten wir auch antreten. Außerdem würde dann der Name Stuttgart um die Welt gehen. Und wir reden nicht von astronomischen Summen. Wie viele Sportmannschaften in Stuttgart haben gerade die Chance, in der Champions League zu spielen? Ich kenne keine außer uns. Ich weiß, dass der Club alles dafür tut, um das nötige Geld aufzutreiben und die Menschen in der Stadt mitzunehmen. Wir wollen Champions League spielen, weil Stuttgart Champions League spielen möchte.
Ihr Team erscheint wie eine verschworene Gruppe. Ist es schwieriger ein Team zu formen, das erfolgreich Volleyball spielt oder das menschlich harmoniert?
Die Herausforderung ist es, beides hinzubekommen. Und in diesem Jahr ist uns das scheinbar gelungen. Obwohl wir aus unterschiedlichen Nationen kommen, sprechen wir beim Volleyball alle dieselbe Sprache. Wir sind jetzt seit acht Monaten fast jeden Tag zusammen, aber trotzdem kann ich von diesem Team nicht genug bekommen. Ganz im Gegenteil: ich werde die Mannschaft vermissen, wenn die Saison zu Ende ist. Am Samstagabend sind wir mit der Mannschaft in der Stadt etwas trinken gegangen und alle Spielerinnen waren dabei, obwohl es keine Pflicht war. So einen Teamgeist habe ich als Sportler noch nie erlebt. Dabei hat uns natürlich auch der Saisonverlauf geholfen. Die Siege waren gut für die Stimmung.
Wie wird die Mannschaft in der nächsten Saison aussehen?
Unser Wunsch ist es, alle Spielerinnen zu behalten, die in dieser Saison zum Erfolg der Mannschaft beigetragen haben. Aber man weiß nie, was passiert. Vielleicht gibt es auch Spielerinnen, die wechseln wollen, um im Ausland zu spielen. Außerdem hängt viel von unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten ab. Klar ist jedenfalls, dass sich die anderen Teams in der Liga verstärken werden – und da müssen wir mithalten. Es wird aber nicht noch einmal so viele Zu- und Abgänge geben, wie vor dieser Saison. Das ist ausgeschlossen. Wir brauchen jetzt Kontinuität in unserem Team.
Was ist der nächste Schritt, um in Stuttgart langfristig erfolgreich Volleyball zu spielen?
Wir wollen die Kooperation mit dem Nachwuchs verbessern. Ich habe bereits mehrere Spielerinnen entdeckt, die ich nach und nach an die erste Mannschaft heranführen möchte. Eine davon ist Julia Wenzel. Sie ist erst 17 Jahre alt, hat aber bereits mit uns trainiert. So wollen wir das Potenzial ausschöpfen, das wir im Nachwuchs haben und Schritt für Schritt gute deutsche Spielerinnen entwickeln. Denn in unserer Volleyballakademie spielen Mädchen, die aus der ganzen Region nach Stuttgart kommen, um Volleyballerinnen zu werden. Das ist genau das, was ich suche. Ich will mit Spielerinnen arbeiten, die Volleyball leben und Profis werden wollen. Sie sind unsere Zukunft.