Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, warnt vor tiefgreifenden Änderungen am Abtreibungsrecht.

Berlin - Der Bundestag berät an diesem Donnerstag über Gesetzentwürfe, die das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche lockern oder ganz aufheben wollen. Derzeit verbietet Paragraf 219a des Strafgesetzes die Werbung für Abtreibungen. Dies gilt auch für Informationen von Ärzten zu entsprechenden Leistungen.

 
Herr Dabrock, wo verläuft die Grenze zwischen Information und Werbung?
Die Frage lässt sich juristisch oder ethisch beurteilen. Juristisch ist die Lage nach derzeitiger Rechtslage klar: Alle Informationen, die einer Frau nicht innerhalb der Schwangerschaftskonfliktberatung mitgeteilt werden, stehen unter Strafandrohung des Werbeverbots nach Paragraf 219 a. Ethisch stellt sich indes die Frage, ob die jetzige Gesetzeslage nicht nur rechtlich möglich, sondern auch ethisch begründet ist und daher auch so bleiben soll. Wie bei vielen ethischen Fragen gibt es auch hier keine exakte Grenzlinie, die sich ziehen ließe. Es geht vielmehr darum, Kriterien aufzustellen, anhand derer sich prüfen lässt, ob die jetzige Regelung sinnvoll ist.
Im Moment ist die Rechtslage bei Abtreibungen ja eine Art Zwitterwesen. Demnach sind Abbrüche illegal, aber straffrei.
Die Rechtslage spiegelt einen fundamentalen Konflikt und ein kompliziertes Zusammenwachsen verschiedener juristischer Traditionen, unter anderem aus der DDR und der alten BRD, wider. Seit über einhundert Jahren ist die Frage der Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen eine der am emotionalsten geführten gesellschaftlichen Debatten. Denn es prallen fundamentale Rechtsgüter aufeinander, nämlich einerseits die Selbstbestimmung der Frau, die nicht gegen ihren Willen ein Kind zur Welt bringen soll, und andererseits das Werden menschlichen Lebens. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich auch die jetzige Debatte zum Werbeverbot.
Wie bewerten Sie die Vorschläge zu einer Rechtsänderung?
Angesichts des eben genannten, tiefen Widerstreits von Gütern und den weltanschaulichen Einstellungen hierzu hat sich die Regelung, die wir in Deutschland haben, grundsätzlich bewährt. Es ist kein fauler Kompromiss, sondern hat über mehr als 20 Jahre gesellschaftlichen Frieden bei diesem höchst kontroversen Thema gestiftet. Das ist ein Wert an sich. Jeder, der in dieser hochemotionalen Fragestellung Veränderung will, muss sich darüber klar sein, zu welchen neuen Verwerfungen das führen kann. Es ist eine hochriskante Debatte, die gesellschaftlichen Sprengstoff freisetzt. Ich frage mich ernsthaft, ob wir das in diesen ohnehin aufgewühlten Zeiten zusätzlich brauchen.
Ist es zeitgemäß, den rechtlichen Widerspruch „illegal, aber straffrei“ bei Abtreibungen aufrechtzuerhalten?
Ich halte es für angemessen zu sagen: Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine normale Option der Familienplanung. Vor diesem Hintergrund wurde die heute geltende Regelung formuliert. Sie ist juristisch zwar sicher grenzwertig: Ärzte nehmen bei einem Abbruch einen von der Krankenkasse bezahlten, rechtswidrigen Eingriff vor, und für die Frauen gibt es eine gesetzlich vorgeschriebene Beratung zu einer als rechtswidrig eingestuften Tat. Da könnte man als Rechtswissenschaftler schnell sagen: Was soll das für ein Gesetz sein, das bei einer rechtswidrigen Tat noch Hilfen anbietet? Dennoch: Mit dieser Regelung anerkennt das Recht, dass es trotz dieser juristischen Spannungen in einer so extrem sensiblen Frage Hilfe anbieten muss.
Wollen Sie das Werbeverbot für Abtreibungen beibehalten?
Wenn man der gesetzlichen Festlegung auf „rechtswidrig, aber straffrei“ folgt, gelangt man zu dem Schluss, dass auch Werbung für Abbrüche nicht angemessen ist. Denn Werbung für eine rechtswidrige Tat kann den Eindruck erwecken, sie wäre doch eine normale Option. Aber das sollte sie nicht sein. Im Übrigen: Die Auffassung, dass ein Schwangerschaftsabbruch die absolute Ausnahme sein sollte, teilen doch die meisten. Zudem gilt: Frauen werden in den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtberatungen vor einem Abbruch auf entsprechende Ärzte und die verschiedenen Möglichkeiten hingewiesen. Es ist also nicht richtig zu behaupten, dass Frauen sich jetzt nicht informieren könnten oder dass sie keine Chance zu einem sicheren Abbruch hätten und sich deshalb in die Hände von Kurpfuschern begeben müssen. Auch freie Arztwahl und Freiberuflichkeit des Arztes werden nicht eingeschränkt. Insofern halte ich das bisherige Werbeverbot für ethisch nachvollziehbar. Nur an einer Stelle würde ich vielleicht eine Änderung erwägen.
Wo nämlich?
Bei Abbrüchen aus medizinischen oder kriminologischen Gründen. Sie sind ja nicht rechtswidrig. Daher könnte man darüber nachdenken, ob es Medizinern erlaubt wird, auf ihrer Homepage über diese Leistung zu informieren. Bei den heute debattierten Gesetzentwürfen wird eine mögliche Differenzierung entlang dieser Linie leider nicht erwogen.
Warum sollten Abtreibungen Ihrer Meinung nach eine Straftat bleiben? Frauen werden mit der jetzigen Regelung zu Rechtsbrecherinnen und Ärzten wird zugebilligt, Verbotenes zu tun.
Wie gesagt, was Sie sagen, gilt nur für die Abbrüche in den ersten 12 Wochen ohne medizinische und kriminologische Indikation. Aber ich verstehe diese Frage gut. Ich will auch betonten, dass ich meinen Standpunkt nicht vertrete, weil ich irgendwelchen fundamentalistischen Denkschulen folge. Ich weiß natürlich, dass man das anders regeln könnte. Aber ich finde, dass die jetzige Rechtslage dem Umstand Rechnung trägt, dass es bei diesem Thema eben einen unlösbaren ethischen Konflikt geben kann, und den sollte man nicht leugnen: Frauen dürfen einerseits nicht gegen ihren Willen gezwungen werden, ein Kind auszutragen. Andererseits darf ein Abbruch auch keine Selbstverständlichkeit oder Normalität werden. Beide Aspekte sollte das Gesetz widerspiegeln. Also: Keine Werbung für eine rechtswidrige Tat, aber vielleicht doch Information über eine legale ärztliche Maßnahme.