Am Flughafen Düsseldorf betreuen Seelsorger Angehörige der tödlich verunglückten Passagiere. Unterdessen läuft in Südfrankreich eine schwierige Suche an: der Airbus ist auf 1500 Meter Höhe an einem Bergmassiv zerschellt.

Düsseldorf - Vor dem Abflugschalter von Germanwings am Düsseldorfer Flughafen stehen zehn Bundespolizisten und zwei Frauen mit königsblauen Westen. „Flughafen Care Team“ ist auf dem Rücken der Westen zu lesen. Sie warten auf Angehörige der verunglückten Germanwings-Maschine. Es ist Dienstagvormittag, kurz nach halb zwölf, die Nachricht vom Absturz des Airbusses hat sich in Windeseile im Flughafen herumgesprochen. In der Abflughalle herrscht eine beklemmende Stimmung, viele betretene Gesichter, viele fragende Blicke. Alle wollen wissen, was genau passiert ist. Der Servicemitarbeiter von Germanwings kann die Fragen nicht beantworten, er schüttelt den Kopf. „Ich kann nichts sagen“, wehrt er alle Bemühungen ab. „Es ist so traurig.“

 

Als sich zwei Frauen und ein Mann dem Schalter nähern, reagieren die Helferinnen in den blauen Westen sofort. Die Neuankömmlinge sind Freunde von drei Passagieren, die in dem Airbus 320 saßen, der zwar in Barcelona abgehoben, aber nie in Düsseldorf angekommen ist. Die sogenannten Abholerinnen schirmen die drei ab und nehmen sie fürsorglich in den Arm, sie bringen sie in einen gesperrten Bereich des Flughafens. In einer VIP-Lounge betreuen Seelsorger Angehörige und Freunde von Opfern. Der Eingang liegt im Außenbereich der Ankunftsebene. Die Feuerwehr hat Fahrzeuge vor den Türen auffahren lassen, um die Trauernden vor Neugierigen zu schützen. Dort können sie sicher sein, dass keine Kameras sie umlagern, dort erfahren sie Stunde um Stunde weitere Details über das wohl schwerste Unglück in der Geschichte des Lufthansa-Konzerns.

Eine Schülergruppe aus Haltern am See war an Bord

Flug Nummer 4U 9525 ist mit 150 Menschen an Bord auf dem Weg nach Düsseldorf in den Alpen Südfrankreichs abgestürzt – Überlebende gibt es nicht, teilt die französische Polizei mit. Am Nachmittag wird klar, dass 67 Deutsche unter den Opfern sind, darunter auch 16 Schüler und zwei Lehrerinnen aus dem nordrhein-westfälischen Haltern am See. Es sind Austauschschüler eines Spanischkurses der zehnten Klasse des Joseph-König-Gymnasium. Sie haben eine Woche in Llinars del Vallés verbracht, eine Kleinstadt in der Nähe von Barcelona. „Die Familien der spanischen Schüler hatten ihre deutschen Gäste am Morgen zum Bahnhof gebracht“, bestätigt der Sprecher der Stadtverwaltung, Josep Aixandri. Die spanischen Schüler stünden unter Schock. „Wir haben versucht, ihnen Trost zu spenden“, sagt Aixandri.

Auch in Haltern ist die Bestürzung groß. „Das ist sicherlich der schwärzeste Tag in der Geschichte der Stadt“, sagt Bürgermeister Bodo Klimpel auf einer Pressekokonferenz. ,„Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.“ Die Schule habe aus den Nachrichten von dem Absturz in Frankreich erfahren, berichtet Klimpel. Am Mittag seien die Schüler informiert worden. Seither seien Notfallseelsorger und Psychologen im Einsatz für die Angehörigen und Mitschüler. Am Mittwoch sei die Schule geöffnet. „Es wird Gelegenheit geben, dass die Schüler über das Schreckliche sprechen können“, kündigt Klimpel an.

Die Trümmer der Maschine wurden in der Region zwischen Digne und Barcelonnette in den südlichen Alpen entdeckt. Nach Angaben der Rettungskräfte vor Ort zerschellte das Flugzeug auf 1500 Meter Höhe. Die Bergung wird nicht einfach werden, denn die Absturzstelle ist äußerst schwer zugänglich. Und dann soll es in der Nacht auch noch schneien. Schon jetzt bedecken meterhohe Schneemassen das mehr als 2000 Meter hohe Massiv der Trois-Évêchés.

Die Absturzgegend ist schwer zugänglich

Keine Straßen, keine Pisten, nur tief verschneite Pfade gebe es dort, erzählt der Leiter des Touristenbüros im nahen Val d’Allos. Wie sollen da bloß Suchtrupps vor Einbruch der Dunkelheit zur Unfallstelle gelangen? Der Bergführer Joel Marteau greift zu noch drastischeren Worten. Als für gewöhnliche Sterbliche „total unzugängliche Hochgebirgslandschaft“ schildert er den Ort, wo die Germanwings-Maschine aus bisher noch ungeklärter Ursache abstürzte. Die Gegend mit ihren enorm steilen, fast senkrecht verlaufenden Felswänden sei „eine Herausforderung für jeden Alpinisten“, sagt Marteau. An Szenen, die das Ausmaß der Tragödie erahnen lassen, fehlt es trotzdem nicht.

Die schreckliche Nachricht vom Absturz des Airbus 320 in den französischen Seealpen ist kaum an die Öffentlichkeit gedrungen, da tritt Frankreichs Staatschef François Hollande auch schon mit versteinerter Miene vor die Fernsehkameras. Auf der Freitreppe vor dem Élysée-Palast ergreift der Präsident im Nieselregen das Wort, an seiner Seite Felipe und Leticia, das spanische Königspaar, das an diesem Unglückstag zum Staatsbesuch in Frankreich weilt. „Wir haben zu trauern“, sagt Hollande und spricht von einer Tragödie.

Den Blick gesenkt, die Hände gefaltet, ergreift Spaniens Monarch das Wort. Die Rettungsmaßnahmen seien „komplex“, sagt er. Der Staatsbesuch ist für ihn und Letizia, kaum begonnen, auch schon zu Ende. Die beiden fliegen noch am Nachmittag nach Spanien zurück. Aus den Worten des Königs spricht Wunschdenken. Zu retten, das hat Hollande kurz zuvor ebenfalls gesagt, gebe es nichts mehr. Niemand habe den Absturz überlebt. Was bleibt, ist also Trauerarbeit, Solidarität mit den Opfern, den 144 Passagieren und sechs Besatzungsmitgliedern, sowie der Versuch, das Unfassbare zu erklären und natürlich die Opfer zu bergen.

Schlechtes Wetter scheidet wohl als Ursache aus

In Toulouse tritt am Sitz des Flugzeugbauers Airbus ein Krisenstab zusammen. Luftfahrttechniker versuchen zu verstehen, wieso die Maschine vor dem Absturz einen langen Sinkflug eingeleitet, pro Minute 3000 Fuß an Höhe verloren hat, wie dies gewöhnlich bei einem Landeanflug der Fall ist, aber offenbar keinen Notruf abgesetzt hat. Im Fernsehsender i-Tele unterbreitet Robert Galan, Spezialist für die Aufklärung von Luftfahrtunfällen, unterdessen dem Laienpublikum das wenige, was sich vor Auswertung der Flugschreiber über die Unglücksursache sagen lässt. Schlechtes Wetter scheide als Ursache aus, versichert der Experte, ein Zusammenstoß mit einer anderen Maschine ebenfalls.

Auf den Radarschirmen der Flugsicherung seien weder Zivil- noch Militärmaschinen in der Nähe des Germanwings-Flugzeugs aufgetaucht. Selbstmordabsichten des Piloten seien wohl ebenfalls auszuschließen. Als wahrscheinlichste Unfallursache bleibt nach Ansicht Galans damit „ein technisches Problem“. Dass die Maschine die Flughöhe von 9000 Meter verlassen habe, bedeute, dass etwas Ernstes passiert sei, glaubt der Experte. An dieser Stelle begännen freilich bereits die Spekulationen. Niemand könne etwa sagen, ob der Pilot absichtlich einen Sinkflug eingeleitet oder die Maschine womöglich aufgrund eines technischen Fehlers an Höhe verloren habe.

Patricia Granet, die Bürgermeisterin von Digne-les-Bain, lässt das Stadion der Stadt räumen. Es soll als Behelfsflughafen für Armee-, Polizei-, Rotkreuz- und Feuerwehrhubschrauber herhalten. Granet, die nicht nur Lokalpolitikerin, sondern auch Ärztin ist, hat sämtliche Rettungskräfte der rund 15 Kilometer von der Absturzstelle entfernten Stadt in Alarmbereitschaft versetzt, aber auch Psychologen zusammengetrommelt. Sie sollen sich der Angehörigen der Opfer annehmen. Granets Kollege Pierre Martin Charpenel, der die Geschicke des ebenfalls rund 15 Kilometer vom Unglücksort entfernten Dorfes Barcelonette bestimmt, meldet ebenfalls, sämtliche Rettungskräfte der Gemeinde seien in Alarmbereitschaft versetzt worden. Rund 600 Gendarmen und Feuerwehrleute sollen versuchen, die Absturzstelle zu sichern.

Am frühen Abend wird der Flugschreiber der Maschine gefunden. Eine mehr als zwei Quadratkilometer große Fläche ist mit rauchenden Trümmern und Wrackteilen übersät, das ist auf den ersten Fotos und Videoaufnahmen aus der Luft zu sehen.